von Jana Franke Frey, 50 Jahre, Theaterpädagogin und Lehrerin
Gastbeitrag aus Brandenburg
so wie immer. Ganz normal. Und dankbar sollt ihr sein, dass ihr dürft, was ihr sollt, und eigentlich auch wollt. Was wollt ihr liebe Schülerinnen, liebe Lehrerinnen, liebe Eltern? Einer meiner Schüler sagte die Tage zu mir: „Irgendwie hat unsere Schule ihr Konzept verloren.“ In Gedanken stelle ich diese Aussage meinen Kolleginnen vor. Gehe den möglichen Diskurs durch und befürchte, dass es auf Folgendes hinausläuft: „Die Kinder haben Schulzeit verloren, es gibt Nachholbedarf, wir müssen den Stoff vermittelt bekommen“. Supervision? Schulterzucken, Lächeln: „Corona?“ „Oh, vergessen!“ Gut, dass es Ironie gibt.
Also weiter waten im trüben Sumpf der Lehrplanerfüllung. Gut, dass ich ein kreatives Fach unterrichte und Freiheiten wage, von denen andere nur träumen können. Verzweifeln wir weiter unserem inneren Selbst, das immer dann allergisch reagiert, wenn Teamsitzung ist und wir wieder den Mund halten. Nehmen wir weiter die Individualität unserer Schülerinnen als störende, manchmal pikante Beilage hin? Wie steht es mit der Anerkennung unserer eigenen Individualität? Welche Methoden wenden wir an, um sie bis zur Unkenntlichkeit zu verleugnen. Das tut weh!
Lang bleibe der Lockdown…
Ich gestehe, dass ich mittlerweile hoffe, dass uns dieses ganze Lockdown-Homeschooling-Distanz-Gehabe noch lange erhalten bleibt. Diese Hoffnung keimte überraschenderweise nach meinen letzten Schülergesprächen in der Oberschule. Von mir aus kann sich nun eine Quarantäne an die Nächste reihen.
Solange bis der letzte Schüler mehr über sich gelernt hat, als er das im System Schule jemals durfte. Solange, bis er dieses Wissen nicht mehr hergeben will. Solange bis er Widerstand leistet. Solange bis der letzte Lehrer sich seinem pädagogischen Größenwahn gestellt hat (Tut schon wieder weh!) und akzeptiert, dass Schule in erster Linie ein sicherer sozialer Begegnungsort ist. Und wir Lehrerinnen hier nur mitspielen dürfen, weil wir eben auch da sind. Aber dann doch bitte als ganze Menschen, mit Herz, Bauch und Verstand. Mit Wagemut geschüttelt und mit Neugier gerührt. Dann würden wir leuchten, lernen, Leben teilen und nicht ausbrennen.
Normalität
Zurück zum Normal? Trostlosigkeit ergreift mich bei diesem Gedanken. Krise gehabt, Chance vertan? Sieht so aus. „Unser Leben nach der Krise wird anders sein als unser Leben vor der Krise.“ Eine bekannte Königin streute diesen Satz im letzten Jahr über unsere Tage. Ich bin dabei! Lasst uns ändern, was zu ändern ist! Lasst uns Expertenrunden starten mit den wahren Experten des Lernens, den Verbraucherinnen von Arbeitsblattkopien auf Ökopapier, den Geduldigen in zittrigen Online-Unterrichten… unseren Schülerinnen! Unser Blick sollte sich darauf richten, was das Glück der NICHTSCHULE uns bescherte: Das Geschenk einer freigelassenen Lernkultur!
Ich staune ob dieses Schatzes an ungeplanter Erfahrung und Lebendigkeit. Ich bin beglückt und erleichtert ob des unbeschwerten Widerstandes meiner Schülerinnen, den sie selber wohl so nicht nennen würden. Ich lerne von ihnen. Und von manchen Eltern, die einfach aufhörten, im Auftrag der NICHTSCHULE ihre Kinder zu erziehen – und sie in Ruhe ließen. Das mag nach Gleichgültigkeit und Überforderung klingen, je nach Geschmack nach Vernachlässigung duften. Das braucht unsere Aufmerksamkeit, klar. Aber wagen wir den Gedanken, dass es in den meisten Fällen das Beste war, das geschehen konnte. Wagen wir es, unsere Blickrichtung zu verändern!
Wechselunterricht
Langsam trudeln meine Schülerinnen wieder ein. Masken, Distanz, Wechselunterricht… Jeder Pädagoge weiß, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, unter diesen Umständen eine arbeitsfähige Gruppensituation mit sicheren Beziehungen zu schaffen. Darüber nachzudenken, frustriert. Auf mich wirkt Schule im Jahr 2021 wie eine Inszenierung von Normalität.
Wir dürfen den aktuell gewonnenen Erfahrungsschatz unserer Schülerinnen nicht zurückstutzen in ein System, das sie und uns so untreu ausspuckte. Und auch unseren eigenen Schatz nicht! Die Lehrerinnen wurden ihrer Kompetenz als Beziehungswesen beraubt und flugs zu Entwicklungshelfern erklärt. Arbeitsbeschreibungen wurden entwertet. Pädagogische Teamsitzungen entspannen sich zunehmend zu Logistik-Konferenzen und Computerberatungsanstalten. Der Datenschutz humpelt fahrig hinterher. Beziehungswesen verenden in dieser Maschine. Manche verfeinern ihre Mechanik und leben unterm Radar. Manche werden ausgespuckt, entscheiden sich für eine chronische Krankheit oder das Arbeitsamt.
Helden des Alltags
…auch das ist eine gute Strategie. Gefährlich nah am pädagogischen Größenwahn. Warum muss ich an Alice Miller denken und “Das Drama des begabten Kindes“? Die meisten von uns jedoch verlieren ihren Glanz, ihre menschliche Anziehung. Nicht gerade inspirierend für junge Menschen. Lassen wir den Betrieb ruhen. Schalten wir auf Fragen stellen um! Hören wir hin! Unterrichten wir uns im wahrsten Sinne des Wortes. Erzählen wir uns, was wir erlebten, was uns nervte, was uns nährte, was wir löschen und was wir behalten wollen. Und dann entscheiden wir gemeinsam, wie es weitergehen soll. Wie das aussehen soll, definieren wir evolutionär ab jetzt selber. Jede Schulgemeinschaft für sich. Und die nach uns, tun das auch…und auch…und auch…
Für heute habe ich folgende Fragen gestellt und erhielt folgende Antworten:
Was hast du während der NICHTSCHULZEIT über dich selbst gelernt?
- Ich spüre meine inneren Impulse und kann ihnen besser folgen, weil ich die Zeit dafür habe.
- Ich zeichne gerne und brauche viel Zeit, um das, was ich im Kopf habe, wirklich auf dem Papier zu sehen. Da werde ich nicht gerne gestört.
- Ich mag auch, wenn es still ist.
- Ich kann mich gut selbst organisieren, das habe ich nicht von mir gedacht.
- Ich habe angefangen, mich am Morgen kalt zu duschen.
- Ich habe mitten in der Nacht Motivationsschübe, dann kann ich besonders gut Mathe machen.
- Ich bin neugierig auf das, was mir einfällt zu tun, weil es oft etwas anderes ist, als das, was ich sonst tat.
- Ich mag es nicht, gestört zu werden, wenn ich mir Geschichten ausdenke und sie aufschreibe.
- Ich stelle mir gerne epische Szenen vor und schreibe. Bis alles so da steht, wie ich es fühle. Das dauert manchmal sehr lange. Dabei werde ich nicht gestört, das ist gut.
- Wenn ich merke, dass ich mich komisch fühle, weiß ich, dass ich raus muss und rennen will. Dann gehe ich joggen.
- Ich sehe gerne aus dem Fenster und betrachte die Leute draußen. Dann freue ich mich über die viele Lebendigkeit und das Stimmengewirr.
- Mit den Online-Aufgaben mache ich mir keinen Druck mehr, ich weiß ja, dass ich sie mache.
- Wenn ich aus der Schul-Cloud fliege, oder mein Mikrofon spinnt, schalte ich ab – kann ich ja eh gerade nicht ändern. Ansonsten drucke ich mir die Arbeitsblätter aus und suche mir Hilfe, sie zu bearbeiten.
Was hast du über dein Lernen gelernt?
- Am besten arbeite ich ab 9 Uhr bis 11 Uhr. Dann esse ich was und gehe online.
- Ich mache gerne Sport oder bin draußen.
- Zwischen 14 und 17 Uhr habe ich Motivationsschübe.
- Ich lese gerne Bücher zur Entspannung, und dabei kommen mir gute Ideen für eigene Geschichten.
- Ich brauche Ruhe zum Lernen, in der Schule ist es mir oft zu unruhig.
- In der Schule störte mich oft der Druck, nicht mitzukommen. Ohne den Druck hier zu Hause, kann ich besser lernen.
- Ich weiß, wo ich mir Hilfe holen kann (Geschwister, Eltern, Freunde)
- Englisch online ist blöd, da habe ich lieber einen Lehrer.
- Sportunterricht fehlt mir, das mag ich lieber. So richtig in der Halle und mit einem Lehrer und den ganzen Herausforderungen.
- Ich rede oder denke Englisch, um zu lernen, und weil es mir Spaß macht.
Freust du dich, wenn die Schule wieder los geht?
- Ich nehme es, wie es kommt.
- Ich freue mich auf meine Freunde und auf das ganze Gewusel in den Fluren.
Was fehlte dir?
Weiß nicht. Meine Freunde. Also dass man immer weiß, dass man sie am nächsten Tag wieder sieht.
Wenn du mit den Erfahrungen, die du gemacht hast, eine ideale Schule aufbauen würdest, wie würde sie aussehen?
Schulzeit: 10-14.30 Uhr.
- Es gäbe 25 Minuten konzentrierte Zeit, in der die Lehrer ein Thema vorstellen.
- Danach würden 2-3 Leute zu dem Thema alleine arbeiten.
- Dann gäbe es eine Pause, dann wieder 25 Minuten konzentrierte Zeit.
- Es gäbe Kurse in Kochen, Hauswirtschaft, Formulare ausfüllen, Briefe verfassen, Gendersprache im Alltag, Streitkultur und Konversation (z.B. wie streitet man sich gut und bleibt ruhig dabei).
- Es gäbe ein immer frei zugängliches Kunstatelier, auch eine Werkstatt, die immer offen ist sollte sein.
- Es gäbe die Möglichkeit, in der Schule zu übernachten, wenn man gerade in einem Flow ist, und sich nicht unterbrechen möchte oder mit seiner Arbeitsgruppe an einem spannenden Projekt dran ist.
- Es gibt Lehrerinnen, die ansprechbar sind, mit denen man sich verabreden kann, und die dann auch Zeit haben.
Wie sagte die Königin des letzten Jahres: „Nach der Krise wird es nicht so sein, wie vor der Krise.“
Packen wir es an!
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