eine Glosse von Martina Binnig
Lesedauer 2 MinutenDie Maskenpflicht im Einzelhandel ist aufgehoben, doch mehrheitlich hat sich das trübe Bild in den Supermärkten im Alltag nicht gewandelt. Man trägt – weil’s sicherer sei – gern “oben mit”. Doch wer die Entblößung wagt, dem kann gar plötzlich Wundersames zuteil werden.
Ich gehe einkaufen in meinem kleinen Supermarkt um die Ecke. Am Eingang gibt es einen Aushang mit dem Hinweis, dass keine Maskenpflicht mehr bestehe, jedoch das Tragen einer medizinischen Maske nach wie vor empfohlen werde. Erleichtert lasse ich die OP-Maske, die ich vorsichtshalber mitgenommen habe, in der Jackentasche stecken. Zum ersten Mal nach langen Monaten betrete ich den Supermarkt ohne Maske, atme frei und habe nichts Lästiges mehr im Blickfeld.
Während ich seit der Maskenpflicht nur einmal pro Woche mit strikt eingehaltenem Einkaufszettel durch den Supermarkt geeilt bin, lasse ich mir jetzt wieder Zeit, schaue mal hier hin, mal dort hin, und blicke auch den Entgegenkommenden ins Gesicht. Vielmehr: Ich würde den Entgegenkommenden gerne ins Gesicht blicken. Denn bis auf die Angestellten tragen alle nach wie vor eine Maske, viele sogar das FFP2-Modell.
Wer mag, kann das ja auch gerne tun. Ich jedoch genieße die wieder gewonnene Qualität des maskenlosen Einkaufens. Dann stelle ich mich in die Schlange an der Kasse an. Die Schlange wächst, denn die meisten ‒ einhellig maskenlosen ‒ Angestellten sind damit beschäftigt, Regale einzuräumen, sodass nur eine Kasse geöffnet ist. Macht nichts. Ich habe ja Zeit.
Hinter mir reihen sich immer mehr Kundinnen und Kunden ein, die deswegen zunächst an mir vorbei gehen. Plötzlich zwinkert mir ein fescher junger Mann zu. Ich bin überrascht. Schließlich bin ich mittlerweile Jungseniorin, und da passiert es eher selten, dass einen fesche junge Männer anblinzeln. Doch dann fällt natürlich der Groschen: Der fesche junge Mann trägt auch keine Maske und hat in mir eine Sinnesgenossin erkannt. Bevor ich zurückzwinkern kann, ist er schon an mir vorüber gegangen.
Ich freue mich. Wie leicht es auf einmal ist, im Supermarkt Geschwister im Geiste auszumachen! Bezahlen tu ich übrigens natürlich mit Bargeld. Als ich zu Hause bin, entscheide ich, sofort noch einmal einkaufen zu gehen ‒ obwohl ich im dritten Stock ohne Aufzug wohne. Aber ein Vorrat von ein paar Flaschen Rotwein könnte doch nicht schaden! Es ließe sich zum Beispiel auf die vorerst abgewendete Impfpflicht anstoßen. Mit alten Freunden oder auch mit neuen. Und wer weiß: Vielleicht zwinkert mir wieder ein fescher junger Mann zu?