ein Beitrag von Martina Binnig
Lesedauer 5 MinutenIn diesen Tagen, in denen kanadische Trucker das politische Zentrum ihres Landes erschüttern und selbst in verschlafenen deutschen Kleinstädten Menschen auf die Straßen gehen, bestätigt sich eine Binsenweisheit: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Denn ausgeklügelte Pläne können an der unberechenbaren Wirklichkeit scheitern. Und das ist gut so. Vor allem, wenn es sich dabei um Planspiele handelt wie etwa das „Lock Step-Szenario“.
Das Lock Step-Szenario ist eines von vier Zukunfts-Szenarien, die die Rockefeller-Stiftung im Mai 2010 durchgespielt hat, und es nimmt auf geradezu verblüffende Weise die Gegenwart vorweg. Der dazu veröffentlichte Bericht umfasst 54 Seiten und ist unter dem Titel „Scenarios for the Future of Technology and International Development“ frei zugänglich (https://www.academia.edu/43023323/Scenarios_for_the_Future_of_Technology_and_International_Development). Als Mitherausgeber fungierte das Global Business Network (GBN), dessen Programm zur Beratung und Vernetzung von deutschen Unternehmen in Ländern Afrikas und Asiens vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wurde.
Gleich das erste und offenbar präferierte der vorgestellten Szenarien trägt den Namen Lock Step, zu deutsch: „Gleichschritt“. Die Ausgangssituation des Szenarios wird folgendermaßen beschrieben: „Im Jahr 2012 brach die Pandemie aus, die die Welt jahrelang erwartet hatte. […] Selbst die am besten auf eine Pandemie vorbereiteten Nationen waren schnell überwältigt, als das Virus sich über die Welt verbreitete. […] Die Pandemie hatte auch tödliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaften: Die internationale Mobilität von Menschen und Waren kam zum Stillstand, was Branchen wie den Tourismus lähmte und globale Versorgungsketten unterbrach. Auch auf lokaler Ebene standen normalerweise belebte Geschäfte und Bürogebäude monatelang leer – ohne Angestellte und Kunden.“
Operation „Gleichschritt“
Daran schließt sich die Feststellung an: „Einige wenige Länder schnitten jedoch besser ab – insbesondere China. Die chinesische Regierung führte schnell eine obligatorische Quarantäne für alle Bürger und die sofortige nahezu hermetische Abriegelung von Grenzen ein und rettete damit Millionen von Menschenleben. […] Staatsoberhäupter auf der ganzen Welt verstärkten ihre Autorität und verhängten strikte Regeln und Beschränkungen: vom obligatorischen Tragen von Gesichtsmasken bis hin zur Kontrolle der Körpertemperatur an den Eingängen von Gemeinschaftsbereichen wie Bahnhöfen und Supermärkten.“
Und als Perspektive für die Zeit nach der Pandemie wird formuliert: „Selbst nachdem die Pandemie abgeklungen war, blieb diese autoritärere Kontrolle und Überwachung der Bürger und ihrer Aktivitäten bestehen und wurde sogar intensiviert. Um sich vor der Ausweitung zunehmend globaler Probleme – von Pandemien und transnationalem Terrorismus bis hin zu Umweltkrisen und zunehmender Armut – zu schützen, nahmen Führer auf der ganzen Welt die Macht stärker in die Hand. Zunächst fand die Idee einer stärker kontrollierten Welt breite Akzeptanz und Zustimmung. Die Bürger gaben bereitwillig einen Teil ihrer Souveränität – und ihrer Privatsphäre – an paternalistischer agierende Staaten ab im Gegenzug für mehr Sicherheit und Stabilität. Die Bürger waren toleranter gegenüber und sogar erpicht auf Führung und Aufsicht von oben […]. In den Industrieländern nahm diese Aufsicht viele Formen an: biometrische Ausweise für alle Bürger und eine strengere Regulierung von Schlüsselindustrien, deren Stabilität für die nationalen Interessen als lebenswichtig erachtet wurde.“
Prognose, wann der Widerstand wächst
Bis hierhin kommt einem das entwickelte Szenario erstaunlich bekannt vor – auch wenn es im Jahr 2010 sicher von den meisten als eine völlig unrealistische Dystopie abgetan worden wäre. Die biometrischen Ausweise sind zwar noch nicht Realität, könnten aber über die QR-Codes der digitalen Impfpässe eingeführt werden. Doch der letzte Absatz der Lock Step-Ausführungen lässt aufhorchen: „Im Jahr 2025 schienen die Menschen genug von der Kontrolle von oben zu haben und von der Tatsache, dass Führer und Behörden Entscheidungen für sie trafen. […] Selbst diejenigen, die die größere Stabilität und Vorhersehbarkeit dieser Welt mochten, begannen sich unwohl zu fühlen und eingeengt durch so viele strenge Regeln. Es stellte sich das Gefühl ein, dass früher oder später unweigerlich etwas die schöne Ordnung stören würde, die die Regierungen so hart erarbeitet hatten.“
Da hier von 2012 als Jahr des Pandemie-Ausbruchs ausgegangen wird, bedeutet die Setzung von 2025 als Jahr des aufkeimenden Widerstands demnach, dass die Entwickler des Szenarios damit rechneten, dass sich erst nach etwa dreizehn Jahren die Menschen „unwohl und eingeengt fühlen“ und bis dahin die „Kontrolle von oben“ klaglos hinnehmen würden. Übertragen auf die heutige Situation würde das heißen, dass sich erst im Jahr 2033 massiver Widerstand der Bevölkerung gegen die restriktiven Maßnahmen formieren würde. Dies ist aber gegenwärtig eindeutig nicht der Fall.
Zwar zeigen Framing, Diffamierungen und Repressalien ihre Wirkung; dennoch bilden sich überall Initiativen und Netzwerke, die die dauerhafte Einschränkung von Grundrechten kritisieren. Offenbar sind die Menschen in Wirklichkeit längst nicht so gefügig dazu bereit, sich ihre Freiheit nehmen zu lassen und gegen eine vermeintliche Sicherheit einzutauschen, wie im Szenario vorgesehen.
Hinweise auf antisoziale Absichten
Auch die Rolle von sogenannten Philanthropen, zu denen die Stiftung selbst zählt, wird im Gleichschritt-Szenario thematisiert: „Philanthropische Organisationen werden in dieser Welt vor schwierigen Entscheidungen stehen. Angesichts der starken Rolle der Regierungen wird Philanthropie ein hohes Maß an diplomatischem Geschick abverlangt […]. Einige Philanthropen entscheiden sich vielleicht dafür, nur dort zu arbeiten, wo ihre Fähigkeiten und Dienstleistungen nicht auf Widerstand stoßen.“
Wesentlich konkreter als diese kryptischen Andeutungen ist die Vorhersage von technologischen Trends im Lock Step-Szenario. Hier wird etwa aufgeführt: „Scanner mit hochentwickelter funktioneller Magnetresonanztomographie-Technologie (fMRI) werden an Flughäfen und anderen öffentlichen Orten zur Norm, um abnormales Verhalten zu erkennen, das auf `antisoziale Absichten´ hinweisen könnte.“ Stellt sich die Frage: Wer definiert, was unter antisoziale Absichten zu verstehen ist?
Folgende Aussage gibt ebenfalls zu denken: „Telepräsenz-Technologien entsprechen der Nachfrage nach kostengünstigeren […] Kommunikationssystemen für Bevölkerungsgruppen, deren Reisefreiheit eingeschränkt ist.“ Welchen Bevölkerungsgruppen soll die Reisefreiheit eingeschränkt werden – und warum?
Und was genau ist in nachstehendem Absatz mit „Gesundheits-Screenings“ gemeint? „Es werden neue Diagnosen entwickelt, um übertragbare Krankheiten zu erkennen. Auch die Anwendung von Gesundheits-Screenings ändert sich: Gesundheits-Screenings werden zu einer Voraussetzung für die Entlassung aus einem Krankenhaus oder Gefängnis, wodurch die Ausbreitung vieler Krankheiten verlangsamt wird.“
Danksagung der WHO an die Rockefeller Foundation
Zum weltweiten Internet fällt den Machern des Szenarios ein: „Angetrieben von Protektionismus und nationalen Sicherheitsbedenken schaffen die Nationen ihre eigenen unabhängigen, regional definierten IT-Netze und ahmen damit Chinas Firewalls nach. Die Regierungen sind in unterschiedlichem Maße erfolgreich bei der Überwachung des Internetverkehrs, aber diese Bemühungen führen dennoch zu einer Zersplitterung des World Wide Web.” Die sich anschließenden alternativen Szenarien zwei bis vier lesen sich übrigens auch nicht wesentlich verlockender.
Nun ist gegen Planspiele und Zukunfts-Szenarien prinzipiell nichts einzuwenden, doch sind die Übereinstimmungen des Lock Step-Szenarios mit den realen weltweit im Gleichschritt ergriffenen Corona-Maßnahmen derart frappierend, dass sie nicht als reiner Zufall abgetan werden können. Zumal in der von der WHO am 27. August 2021 veröffentlichten „Richtlinie zur Einführung und technischen Spezifikation von digitalen Impfpässen“ („Digital Documentation of COVID-19 Certificates: Vaccination Status.Technical Specification and Implementation Guidelines“) die Rockefeller Foundation namentlich in der Danksagung genannt wird. Immerhin haben sich die Entwickler des Szenarios aber dahingehend geirrt, dass sie den Widerstand in der Bevölkerung erst nach dreizehn Jahren ansetzten. Bleibt zu hoffen, dass sie sich auch in ihren sonstigen Vorhersagen irren. Und zwar gründlich.