ein Kommentar von Katja Leyhausen
Lesedauer 9 MinutenDeutschland kämpft einen heldenhaften Kampf gegen den Faschismus. Die Q2 eines humanistischen G8-Gymnasiums in Frankfurt/Main wird dieses Schuljahr 2023/24 beenden mit einem Besuch in Goethes Gartenhaus im schönen Weimarer Park an der Ilm und einem Besuch des KZ Buchenwald. Goethes Geburtshaus in der Weimarer Innenstadt und die Anna-Amalia-Bibliothek sind von Touristen verstopft; die Schule hat den 17-Jährigen keinen Zugang organisieren können. In Buchenwald ist viel Platz. Die Sonne, die die Jugendlichen am sommerlichen Gartenhäuschen wärmt und die sie nach ihrer Schul-Buckelei in eine sonnige Ferienzeit entlassen könnte, zieht sich in Buchenwald eisig zu. Die Schüler sind zu dumm und zu herzlos, um zu verstehen, dass man Menschen nicht quält und ermordet. Sie singen freche Lieder. Sie müssen daher auf eine pädagogische Besserungsfahrt.
Ich erinnere mich an meine eigene Buchenwaldfahrt 1986 in der DDR: Ein ganzer Zug wurde von der Deutschen Reichsbahn bereitgestellt, um alle 8. Klassen meiner Heimatstadt dorthin zu transportieren. Ich war 14 Jahre alt. Das heißt: Ich war noch einmal bedeutend jünger als die 17-Jährigen. Man weiß allerdings, dass sich 14-jährige Mädchen mit 17-jährigen Jungs manchmal recht gut verstehen. Die persönliche Reife bemisst sich nicht am Altersschema.
Zuerst lernte ich die “Blutstraße” kennen, die über 5 Kilometer von Weimar nach Buchenwald führt und die die ersten Häftlinge in Zwangsarbeit selbst hatten errichten müssen. Ich sah auch den KZ-Bahnhof, den sie für die Transporte von und nach Auschwitz bauen mussten. Wir liefen viel an diesem Tag, das war Teil der Erziehungsmaßnahme. Wir sollten den Leidensweg der Opfer physisch nachvollziehen. Denn wir sollten tüchtig geläutert und noch am selben Tag und Ort in die sozialistischen Organisationen “Freie Deutsche Jugend” sowie “Deutsch-Sowjetische-Freundschaft” aufgenommen werden. Zum nationalsozialistischen Grauen kamen die Zwangsrituale von Fahnenappell und Kollektiv-Gelöbnis dazu, die wir inmitten einschüchternder Monumentalarchitektur zur Verherrlichung der sozialistischen Sache über uns ergehen lassen mussten. Der Weg durch die weitläufige Anlage des sozialistischen Mahnmals – den Berg hinunter zu einem riesigen Massengrab und wieder hinauf zum Turm der antifaschistischen Befreiung – kommt mir im Nachhinein mindestens so lang vor wie 5 Kilometer.
Ohnmacht
Ich erinnere mich genau daran, dass an diesem Tag nichts, aber auch gar nichts zusammenpasste: Die fröhliche Ausflugsstimmung von aufgekratzten Pubertieren, die nie zuvor mit hunderten Altersgenossen unterwegs gewesen waren. Der öde hochpolitisierte Überbau, das künstliche “Nie wieder” und “Wir wollen bessere Menschen sein”. Meine innere Leere vor der Genickschussanlage und den Verbrennungsöfen. Die Ohnmacht. Und schließlich die müden Lehrer, die mit dem doppelten Wahnsinn ebenso wenig umgehen konnten wie ich und meine Schulkameraden. Es war ein Ort zum Weglaufen. Lieber neckten wir uns gegenseitig und bequatschten Mode- und Musikneuigkeiten aus dem kapitalistischen Ausland: aus dem bösen Land hinter dem Bollwerk des antifaschistischen Schutzwalls. Einige machten blöde Sprüche über die Ausstellungsobjekte in den Vitrinen.
Als Zeitzeugin und Mutter stelle ich hier ein Textdokument von 1986 zur Verfügung, das die Buchenwald-Erfahrung einer 15-jährigen DDR-Schülerin wiedergibt. Sie war schon lange vorher, durch Bastelarbeiten im Kindergarten und Pflichtlektüre in der Schule, auf den staatlichen Antifaschismus eingeschworen worden. Mit dem KZ-Erlebnis ist sie augenscheinlich nicht gut zurechtgekommen. Der Schulaufsatz trägt den Titel “Mein schönstes Erlebnis” bzw. “Mein bisher schönstes Erlebnis”.
Es ist das Zeugnis einer Überforderung. Das Mädchen hat sich eine doppelte Subversivität herausgenommen: im Angesicht des Verbrechens von ihrem “schönsten Erlebnis” zu sprechen und diesen vorgegebenen Aufsatztitel außerdem noch abzuwandeln in ihr “bisher schönstes Erlebnis”. Vielleicht wusste sie, dass das Leben noch etwas Besseres für sie bereithält als die moralische Heuchelei des politisch verordneten Antifaschismus?
Das Unfassbare der deutschen Konzentrationslager überfordert Erwachsene, die daraus die Konsequenz ziehen, Minderjährige in die Überforderung zu zwingen. Dabei muss doch deren Überforderung viel größer sein als ihre, denn sie sind viel verletzlicher als gereifte Erwachsene. Im Schulaufsatz der 15-Jährigen lese ich heute die wichtigste, überall präsente, aber völlig unausgesprochene Frage: Wenn das Unfassbare unfassbar und nicht auszuhalten ist, wie sollen es dann ausgerechnet Jugendliche erfassen, begreifen, in Kopf und Seele ertragen? Wie reagieren sie auf diesen gewaltsamen Übergriff einer verhärteten Erwachsenenwelt? Dürfen sich Jugendliche in der KZ-Gedenkstätte wie Jugendliche verhalten? Darf man als Jugendlicher an einem solchen Ort blödeln, Witze machen, freche Lieder singen?
Schwach, klein und unnütz
Als Mutter brauche ich keine Besserungspädagogik, um die zweifache Antwort auszusprechen:
Man darf! Na klar! Weil Humor, Sprache und Musik entlasten, weil in Situationen des größten Entsetzens Entlastung psychisch überlebensnotwendig ist und weil mit der KZ-Veranstaltung die Jugendlichen von “Pädagogen” in eine für ihre seelische Entwicklung hochbedrohliche Lage gebracht werden. Humor ist eine menschliche Reaktion inmitten der Unmenschlichkeit.
Aber nein! Man darf natürlich nicht! Die Jugendlichen sind auch gar nicht so doof und unmoralisch, wie das von den Schulfunktionären über die Jahrzehnte hinweg bis heute vorausgesetzt wird. Sie spüren ganz genau, dass man den Opfern an diesem Ort solche Frotzeleien nicht zumuten kann, dass Lachen, Blödeln, Ablenken eine völlig situationsunangemessene Reaktion ist, weil sie nicht nur die Opfer, sondern auch sie selbst in ihrer eigenen, lebendigen Menschlichkeit verletzt. Sie ahnen sogar, dass sie grundsätzlich etwas falsch machen, wenn sie überhaupt noch irgendeine Äußerung von sich geben.
Der Aufsatz zeigt die Wirkung der Maßnahme: Das Mädchen verstummte, und es sollte verstummen. Sie fühlte sich “schwach, klein und unnütz”, weil sie sich schwach, klein und unnützfühlen sollte. Für diese Wirkung braucht es ausdrücklich nicht die sozialistischen Monumente und Rituale. Der emotionale Druck genügt. Das Mädchen zeichnet im Aufsatz präzise den Rundgang und Leidensweg nach, den sie im Lager gehen musste. Die vorgegebene Erlebnissemantik des obligatorischen Aufsatztitels bringt sie dazu, von ihrer “Spannung” und “Neugierde” zu reden, die schwere Belastung von “Pflicht” und “Verantwortung”. Der “Aufgabe”, die ihr hier gestellt sei, könne sie bestimmt nicht “gerecht werden”! Als sie in den steril gekachelten Raum der medizinischen Experimente gelangt, “wo all diese Brutalitäten geschahen”, meint sie: “Ich stellte mir vor, ein Häftling zu sein, der jetzt so eine Tortur vor sich hat”. Sie erträgt den Ort nicht, an dem Menschen “ohne auch nur einen Hoffnungsschimmer an Rettung” existieren mussten. Aber aus der Veranstaltung weglaufen durfte sie nicht.
Tatsächlich blieb ihr, um sich selbst zu helfen, nur die sozialistische Aufsatzerziehung ein halbes Jahr danach. Wie sie dazu kam, sich inhaltlich derart weit von der Aufsatzvorgabe – “Schildere dein schönstes Erlebnis!” – zu entfernen, interessierte niemanden. Die Deutschlehrerin hat an dem Spiegel, der ihr vorgehalten wurde, vorbeigeschielt. Kein Wort von Kommentar, Interesse, Nachfrage. Das Mädchen ist mit dem ausbeuterischen Antifaschismus hinterher so allein, wie es das vorher schon war. Aber sie bekam eine ziemlich glatte Eins dafür. Schon das Bekenntnis, sie sei sich jetzt endlich “auch bewusst, wie gut wir es doch in unserem Staat haben” und wie “dankbar” sie für alles sei, hat womöglich für diese runde Eins schon ausgereicht. Dieses wichtigste Kapitel in der sozialistischen Aufsatzerziehung trägt die Überschrift: “Bezug des Erlebten auf eigenes zukünftiges Leben”.
Ist das Demokratieerziehung?
An dieser Stelle der Aufsatz- und Erlebnispädagogik macht sie sich auch Sorgen darüber, dass vielleicht doch nicht all ihre Mitschüler “ebenso empfunden haben” wie sie und womöglich nicht alle verstanden haben, “dass einer allein überhaupt nichts ausrichten kann”. Sie hatte wohl das Gefühl, dass an den Vitrinen zu viel geblödelt wurde. Dabei wollte sie in ihrer großen Not mit allen “verbunden” sein – und genau hier griff der sozialistische Staat mit seinen falschen Integrationsritualen gnadenlos zu.
Auch heute kann der verpflichtende und ritualisierte Antifaschismus nur als moralische Heuchelei mit falschem Integrationscharakter empfunden werden, zumal er – wie in der DDR von der SED – immer schamloser für partei- und machtpolitische Zwecke benutzt wird. Das Ziel der heutigen Buchenwaldfahrt wäre für so manchen Pädagogen wohl genau dann erreicht, wenn die Jugendlichen nach ihrer Rückkehr in ihrem Nachbarn mit AfD-Meinungen den Nazi erkennen und ihn zu verachten gelernt haben.
Ist das Demokratieerziehung? Wer bildet sich ein, auf so primitive Weise den Extremismus zu bekämpfen?
Welcher Pädagoge, der den Namen verdient, kommt bitte heute noch auf die Idee, pubertierende Jugendliche, die sowieso nie wissen, wohin mit sich, mit ihrem Körper, ihren verstörenden Gedanken und Gefühlen, so zu demütigen und zu missbrauchen? Wer kommt noch auf die Idee, es diene der Menschlichkeit, junge Menschen in ihrer Selbstachtung und ihrem Orientierungsbedürfnis so zu verletzen? Sie können sich in dieser Situation nur falsch verhalten und kommen in jedem Fall verunsichert zurück. Sollen sie für den Rest ihres Lebens mit den Instrumenten von psychischer Gewalt und Beschämung regiert werden?
Die Jugendlichen haben doch ihr eigenes, ungesehenes Leid: Überall in Deutschland gehen Kinder zur Schule, die mit ihren Familien traumatische Flüchtlingserfahrungen gemacht und wirtschaftliches Elend erlebt haben. Es gibt in Deutschland auch genügend Kinder und Jugendliche, die ohne eine Migrationsgeschichte und sogar im besten bürgerlichen Milieu Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt sind. Die Tochter des Elternsprechers, die von ihrem Vater dazu angehalten wird, Mitschüler zu verpetzen, die wegen zu vieler unentschuldigter Fehlstunden das Klassenbuch geklaut oder die provozierende Lieder gesungen haben. Der Mitschüler, der seine blauen Flecken von zu Hause nicht verbergen kann und der auf dem Schulhof täglich weiter verprügelt wird. Der Prügler, dessen alleinerziehende Mutter in einem höheren staatlichen Amt untergekommen und alkoholabhängig ist. Solche jungen Menschen werden im Rahmen der Schulpflicht an Orte verbracht, wo sie sich das Leid der Buchenwaldhäftlinge vergegenwärtigen sollen? Um ihnen den Teufel auszutreiben?
Wie wäre es, sich menschlich zu verhalten und Menschlichkeit vorzuleben, wenn man Menschlichkeit vermitteln möchte? Wie wäre es mit Respekt gegenüber den Biographien der Kinder und Jugendlichen und damit, ihre Erfahrungen ernstzunehmen? Die staatliche Gewalt des Corona-Lockdown-Gefängnisses und mRNA-Zwanges zum Beispiel. Oder den mechanischen Erfolgsdrill, dem die Schüler in der PISA-Schule durch Lehrer und Eltern ausgesetzt sind, wo das Wieder-Ausspucken von Wikipedia-Artikeln in bunten “Präsentationen” als Bildung gilt, sofern nur die Note stimmt. Oder die digitale Gewalt, die heute schon Kleinkinder erleben, wenn ihre Eltern durch Stöpsel im Ohr vom Wesentlichen so abgelenkt sind, dass sie auf die Bedürfnisse der Kinder nur mit Desinteresse oder trotzigem Geschrei reagieren – so, als wären sie die Kleinen. Kinder und Jugendliche erleben in Deutschland eine Gesellschaft, die keinen Respekt vor ihnen hat, die ihnen aber die antifaschistische Heuchelei aufdrängt.
Unsere Kinder wehren sich
Die Aufsatzschülerin hat mit den gewünschten Phrasen reagiert, die ihr irgendwie plausibel erscheinen mussten. Sie konnte nur mit diesen Phrasen reagieren. Sie hat versucht, die Versatzstücke aus dem offiziellen Gedöns in ihre Welt zu übersetzen und etwas Authentisches daraus zu machen. Diese zwei Sprachen spricht der Aufsatz.
Heute prahlen die Schulen in ihren Netzauftritten mit ähnlichen Bekenntnisstücken: Wieder schicken sie ihre Schüler nach Buchenwald, wieder lassen sie sie mit den dürren Phrasen des “Nie wieder!” allein. Wieder verteilen sie Applaus für das sinnlose Handwerk der sprachlichen Reproduktion, das eine dumme KI viel besser beherrscht. Für die Schüler sind die Phrasen ein Weg, sich den existenzbedrohenden Übergriff der Polit-Maschine vom Leibe zu halten. Manche werden sich nie davon erholen. Sie werden sich vielleicht in eine eitle Funktion in irgendeinem Public-Private-Partnership hochbeugen und von hier aus, in verordneter ideologischer Kälte, ihre eigenen Kinder selbst wieder nach Buchenwald schicken – geschlagene Kinder, die die Kette der Gewalt nicht unterbrechen.
Doch es ist lange nicht ausgemacht, dass alle Jugendlichen aus der missbräuchlichen Maßnahme mit gebrochenem Rückgrat zurückkommen. In dem historischen Zeugnis aus der DDR sieht man: Unsere Kinder wehren sich. Sie brüten – auch wenn sie an der Oberfläche brav sind – subtile Subversivitäten aus. Zwischen den Zeilen stellen sie die richtigen Fragen. Sie hoffen auf bessere Zeiten. Und sie werden weiterhin blödeln und freche Lieder singen. Mütter und Väter sollten sie hier kräftig unterstützen.
P.S.: Dem, der sich mit dem antifaschistischen Mythos von Buchenwald beschäftigen und darüber mit seinen Kindern situations- und altersangemessen sprechen möchte, empfehle ich die Dokumentation von Manfred Overesch: Buchenwald und die DDR oder Die Suche nach Selbstlegitimation. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1995. Es ist vielleicht gar nicht unklug, ihnen den Zugang zum Verbrechen mittelbar dadurch zu eröffnen, dass man seine politische Instrumentalisierung zum Gegenstand macht.
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Klassenaufsatz: Wiedergeben von Eindrücken
Mein bisher schönstes Erlebnis
Disposition
- Einleitung: Ort, Zeit, Anlass
- Gedanken vor dem Ereignis
- Der Weg zum Museum: Aufnahme in die FDJ und DSF
- Museum
- Orte des Grauens: Operationsraum, Bunker, Krematorium, Appellplatz
- Bezug des Erlebten auf eigenes zukünftiges Leben
In Vorbereitung auf unsere Jugendweihe stand uns ein Besuch im KZ Buchenwald bevor. Wir hatten alle schon viel von den Grausamkeiten des Faschismus gehört, wir hatten Bücher gelesen und uns ist viel erzählt worden. Aber nun sollten wir selbst so einen Tatort aller dieser Unmenschlichkeiten besichtigen.
Während der Zugfahrt nach Weimar beschäftigte mich immer wieder dieselbe Frage: “Was würde mich erwarten”?
Als wir auf dem Ettersberg ankamen, umgab mich eine bedrückende Stille. Die Sonne, die eben noch so schön schien und mich wärmte, hatte plötzlich keine Wirkung mehr. Ich fror und hatte irgendwie Angst.
Zuerst besichtigten wir die Stelen. Sie waren aussagekräftig, besonders die gequälten Gesichter der Menschen beeindruckten mich. Durch die Erläuterungen unserer Lehrerin, die uns das Leben der KZ-Häftlinge noch einmal vor Augen führte, wurde ich immer neugieriger und die Spannung in mir wuchs.
Nun gingen wir den Weg der Nationen entlang, auf dem für jedes Land, aus dem Menschen hier brutal und ohne jegliches Gewissen vernichtet wurden, eine Pylone aufgestellt war. An einer dieser Pylonen wurden wir in die Reihen der FDJ und DSF aufgenommen. Ich fragte mich, ob ich meine Verpflichtungen, die ich hier gab, auch immer einhalten könnte, ob ich meinen Aufgaben immer gerecht werde. Aber bei dem Gedanken an die vielen Menschen, die hier ihr Leben lassen mussten, weil sie pflicht- und verantwortungsbewusst waren, beschloss ich, bei meinen zukünftigen Tätigkeiten nicht meine Interessen, sondern die Interessen aller zu berücksichtigen und mich dafür einzusetzen.
Auf dem Weg zum Museum wunderte ich mich über mich selbst ein bisschen. Ein Museumsbesuch hatte mich noch nie interessiert, aber dieses Museum war kein gewöhnliches.
Das wurde mir dann immer verständlicher, als ich die Ausstellungsstücke sah: Lampenschirme aus Menschenhaut! Schrumpfköpfe! Es war für mich unvorstellbar!
Wie konnte ein Mensch solch eine abscheuliche, kaltblütige und gewissenlose Tat vollbringen, seinesgleichen so zu erniedrigen, zu quälen!
Wir kamen nun in den Raum, wo alle diese Brutalitäten geschahen. Er strahlte Kälte aus, und ich stellte mir vor, ein Häftling zu sein, der jetzt so eine Tortur vor sich hat. Als ich dann die Instrumente sah, verließ ich diesen Ort der Gewalt so schnell wie möglich.
Danach besichtigten wir den Bunker und auch hier erschrak ich. Wie kann ein Mensch hier existieren, ohne auch nur einen Hoffnungsschimmer an baldige Rettung?
Ich kam mir so schwach, klein und unnütz vor, wenn ich mich mit den Menschen, die hier gelebt haben, verglich.
Nun kamen wir zum Krematorium. Davon wurde mir schon sehr viel erzählt, aber ich konnte mir nie so richtig etwas darunter vorstellen – ein Ort, wo Zehntausende, Tag für Tag, verbrannt wurden, so wie Fetzen Papier.
Nun standen diese großen Öfen vor mir. Ich stellte mir vor, wie die Leichen, die toten Menschen schon gar nicht mehr ähnlich sahen, hereingebracht wurden, daneben eine Figur, die auf einem Zettel Striche zog. – Ein Mensch – ein Strich. –
Jetzt erst wurde mir bewusst, wie sehr ich diese Menschen ehre und achte und wie wichtig es ist, ihre Ziele zu verwirklichen, nämlich eine demokratische Welt, die menschlich und ohne Hass ist, zu schaffen.
Es wurde mir auch bewusst, wie gut wir es doch in unserem Staat haben, und ich war dankbar. Meinen Eltern, Freunden, Bekannten und auch den Menschen, die ich gar nicht kannte, zu denen ich überhaupt keine Beziehung hatte. Aber nun stellte ich fest, dass wir doch alle miteinander verbunden waren, dass einer allein überhaupt nichts ausrichten kann.
Nach dem Besuch des Krematoriums gingen wir zum Appellplatz hinauf. Die Glocke vom Turm schlug. Ihr Klang war so dumpf, und er fasste alle meine bisherigen Gedanken zusammen. Ich hoffte in diesem Moment, dass der Besuch des KZ’s Buchenwald nicht nur für mich von großer Bedeutung war, sondern dass alle meine Klassenkameraden und auch die anderen ebenso empfunden haben und dass sie nun mithelfen, jedem ein friedliches, menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.