Ein Gast-Kommentar zu den Demonstrationen vom 28. Und 29. August 2021
von Karsten Montag
Lesedauer 5 Minuten
Das Bild könnte grotesker kaum sein. Zwischen dichtgedrängten Einkaufsbummlern und vorbei an vollbesetzten Straßencafés ziehen kleinere und größere Gruppen von Menschen, die gegen die Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 in Deutschland demonstrieren. Das eine ist erlaubt, das andere verboten. Weder Kleidung noch andere äußerliche Merkmale unterscheidet die Protestierenden von den Konsumenten und Spaziergängern.
Der Grund, warum die Demonstrationen der Kritiker der Regierungspolitik verboten wurden, mutet angesichts des bunten Straßenbilds absurd an. Noch widersprüchlicher wirkt die Untersagung der verschiedenen Veranstaltungen am 28. und 29. August 2021 durch den Berliner Senat, wenn man auf den Webseiten der Tagesschau nach Meldungen zu den Protesten sucht. Dort steht: „Querdenken in Berlin: Tausende demonstrieren trotz Verbot“. Direkt darunter findet man den Eintrag: „Christopher Street Day: Tausende feiern auf Parade in Köln“. Auf den Bildern sieht man Menschen dicht gedrängt und teilweise ohne Maske durch die Straßen ziehen. Ein Widerspruch für die Tagesschau? Fehlanzeige.
Sind es nicht die mutmaßlichen Verstöße gegen die Hygieneauflagen, welche mittlerweile regelmäßig zum Verbot von Demonstrationen führen? Interessiert es die medial informierte Öffentlichkeit, dass regierungskritische Proteste, ähnlich wie dies von der deutschen Politik den Ländern Weißrussland und Türkei vorgeworfen wird, auch in Deutschland mit fadenscheinigen Argumenten unterdrückt werden?
COVID 1984 – Wer für Freiheit und Demokratie demonstriert, muss ein Faschist sein.
Zunächst sind es nur kleinere Gruppen, die ohne festes Ziel vormittags durch die Straßen zwischen Humboldthain und Mauerpark ziehen. Auch in anderen Stadtteilen soll es zu spontanen Menschenansammlungen und Demonstrationszügen gekommen sein. An jeder dritten Straßenecke stoßen vereinzelte Gruppen aufeinander und schließen sich zu einem größeren Zug zusammen. Schließlich blockieren mehrere Tausend Menschen den Verkehr auf der vierspurigen Danziger Straße Richtung Osten.
Die Demonstranten skandieren immer wieder lauthals „Frieden! Freiheit! Demokratie!“ und „Keine Diktatur!“. Hinter dem Zug fahren Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Blaulicht. Seitlich werden die Protestierenden von martialisch aussehenden kleineren Einheiten der Polizei begleitet. Doch anders als noch am 01. August versuchen die Einsatztrupps nicht, den Demonstrationszug durch spontane Straßensperren zu zerteilen und aufzulösen. Vielleicht will man kurz vor der Bundestagswahl Bilder mit prügelnden Polizisten in den Medien vermeiden.
Ein Passant schreit den Protestierenden hinterher: „Verpisst euch, ihr Lappen!“
Aus dem Zug ruft einer: „Mach die Glotze aus!“
Doch neben Stinkefingern, Kopfschütteln und Beleidigungen durch die Anwohner stoßen die Proteste auch auf Zustimmung. Viele Menschen winken von ihren Fenstern aus den Demonstranten auf der Straße zu. Letztere fordern laut: „Schließt euch an!“
Das Plakat eines jungen Demonstranten trägt die Aufschrift „COVID 1984“, eine Erinnerung an den Klassiker von George Orwell. Orwell beschreibt in seinem Werk das so genannte „Doppeldenk“, die Vereinigung von offensichtlichen Widersprüchen in den Köpfen einer beherrschten Bevölkerung. Den Versuch, Widersprüche bei den Medienkonsumenten zu vereinen, kann man mittlerweile in Deutschland hautnah erleben, wenn Menschen, die für Freiheit und Demokratie demonstrieren, als rechtsextrem und demokratiefeindlich bezeichnet werden.
Der TAZ-Redakteur Klaus Hillenbrand schreibt, das Verbot von Demos gegen die Corona-Maßnahmen sei richtig, er berichtet von irrational geleiteten Verschwörungsmystikern und baut eine Brücke zwischen Demonstranten, die „Drosten raus“ gerufen haben sollen, und Antisemiten.
„Freuen sollte man sich über solche Verbote niemals. Sie sind Anzeichen dafür, dass relevante Teile der Bevölkerung den Grundkonsens der Demokratie nicht nur innerlich aufgekündigt haben, sondern dazu bereit sind, dafür aktiv auf die Straße zu gehen. Wer vor der Berliner Charité Worte wie „Drosten raus“ brüllt, hat von der Freiheit der Wissenschaft nichts verstanden, stellt dafür aber unter Beweis, dass sein krudes Bild einer an finstere Mächte verkaufte Gesellschaft nicht zu erschüttern ist. Und diese Vorstellungswelt erinnert verflucht an diejenigen, die vor einigen Jahrzehnten den Protokollen der Weisen von Zion Glauben schenkten und darauf ihren Hass auf Juden aufbauten.“
Auf einer Recherche, die diesen Namen verdient, basiert dieser Journalismus nicht. Hätte der Autor die Demonstranten interviewt, hätte er die Chance gehabt zu erfahren, dass die deutliche Mehrheit der Teilnehmer massiv darunter leidet, vorverurteilt zu werden als rechts oder antisemitisch.
Die Polizei verhindert, dass sich große Demonstrationszüge über verschiedene Stadtteile Berlins verteilt vereinen können
Wenn man sich mit den Sterbefallzahlen, demografischen Veränderungen und Krankenhausbelegungen in Deutschland beschäftigt, erfährt man, dass in Deutschland keine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt. Aber das liege doch nur an den Maßnahmen, wird uns in den Leitmedien vermittelt. Dass es in Ländern wie Schweden auch ohne Lockdowns und Maskenpflicht geht, ist da kein Widerspruch. Schließlich sollen dort im Verhältnis zu Bevölkerungsgröße deutlich mehr Menschen an COVID-19 verstorben sein als in den skandinavischen Nachbarländern.
Wer misstraut den offiziellen COVID-19-Sterbefallzahlen, die mit einer Methode ermittelt werden, die es in dieser Form zuvor noch nie gab und durchaus fehleranfällig sein kann? Wer weiß schon, dass die Gesamtsterblichkeit im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße in Dänemark und auch in Deutschland seit Beginn der Corona-Krise deutlich höher ist als in Schweden? Solche Zahlen erfährt man aus den Leitmedien nicht; diese würden das Narrativ vom Versagen des schwedischen Sonderwegs ad absurdum führen. Kritischen Journalismus, der die Corona-Strategie der deutschen Bundesregierung mit derartigen Fakten in Frage stellt, findet man kaum in Tagesschau, heute, Spiegel, Süddeutsche, Zeit und TAZ. Er ist so gut wie nicht vorhanden.
Im Demonstrationszug in Berlin spielt eine mitlaufende Blaskapelle das italienische Partisanenlied „Bella ciao“ und „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd. Trotz schlechter Wettervorhersagen reißt die Wolkendecke am letzten Sonntag im August auf, und die Sonne kommt durch.
Die Spitze des Zuges versucht immer wieder, die nachfolgenden Menschen in Richtung Innenstadt zu lotsen, um sich mit den Gruppen in anderen Stadtteilen zu vereinen. Doch die Polizei versperrt ihnen den Weg in diese Richtung. Einzelne Demonstranten, welche die Sperren durchbrechen wollen, werden bei der Verhaftung von Einsatzpolizisten brutal zu Boden gedrückt, die Kollegen bilden sofort einen schützenden Ring um diese Szenen, Demonstranten skandieren „Schämt euch!“ und „Wir sind friedlich!“.
Nach Aussagen des Berliner Polizeisprechers Thilo Cablitz änderte die Polizei die Taktik und konzentrierte sich auf gewaltbereite Protestierende und Rädelsführer (https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/08/querdenker-berlin-demonstrationen-verbot-sonntag-polizei.html). Ein kurzfristig festgenommener Demonstrant berichtet davon, dass man ihm eine derartige Rädelsführerschaft vorgeworfen und als Beweismittel seine Rassel konfisziert hätte.
Demonstranten werden eingekesselt und mehrere Stunden im Regen festgesetzt
Gegen 15.30 Uhr kommt Regen auf. Der Zug wird kleiner. Die Polizei nutzt die Gelegenheit und kesselt eine Gruppe von mehr als einhundert Demonstranten auf der Danziger Straße im Stadtteil Prenzlauer Berg mit Mannschaftswagen und Polizeiketten ein. Mehrere Stunden müssen sowohl die festgesetzten Protestierenden als auch die Polizisten im Regen ausharren. Keiner weiß, wie es weitergeht.
Anwohner und Passanten werden von einzelnen Polizeibeamten durch die Menge der Demonstranten eskortiert, vorbei an einem vermeintlichen Teilnehmer mit einer Platzwunde am Kopf. Die von der Polizei begleiteten Personen tragen wie die Beamten eine Maske, so als wollten sie sich von den Demonstranten symbolisch abgrenzen.
Die Wirksamkeit von Gesichtsmasken sind nicht durch die medizinische Forschung gedeckt
So genannte randomisierte kontrollierte Studien sind Standard in der Medizinforschung. Diese kann man auch auf das Tragen von Masken und andere Hygienemaßnahmen anwenden, um deren Effektivität zu bewerten. Teilnehmer werden nach dem Zufallsprinzip ausgesucht und in zwei Gruppen unterteilt, eine Maßnahmen- und eine Kontrollgruppe. Am Ende des Studienzeitraums wird ausgewertet, wie viele Teilnehmer sich in den beiden Gruppen mit dem Erreger infiziert haben. Eine großangelegte dänische Studie dieses Designs mit knapp 5.000 Teilnehmern kam zu dem Ergebnis, dass das Tragen von Masken das Infektionsgeschehen mit -0,3 Prozent nicht signifikant senkt.
Die mangelnde Evidenz der Wirksamkeit des Tragens einer Gesichtsmaske ist aber offensichtlich kein Argument mehr, um diese Maßnahme in Frage zu stellen. Die Maske ist längst zum Symbol für ein verantwortungsvolles Miteinander geworden. Man kann sich mit ihr auch im Freien als pflichtbewusster Mitbürger präsentieren. Genau das ist es, spricht man mit einigen Demonstranten, was sie an den Maßnahmen kritisieren. Und auch, so steht es auf dem Plakat einer 50-jährigen Erzieherin, dass „diese Maßnahmen spalten“, die Maske zum Zeichen wird, wer dazugehört und wer nicht.
Während im Kessel ein kleiner Polizeitrupp einem „Rädelsführer“ das Mikrofon wegnimmt, weil er die übrigen Demonstranten und die Polizisten darauf hingewiesen hat, dass man nach Artikel 20 des Grundgesetzes ein Recht auf Widerstand hat, wenn in Deutschland die verfassungsmäßige Ordnung beseitigt wird, rollt ein Anwohner ein Transparent aus seinem Fenster. Darauf steht geschrieben: „Masken auf! Nazis raus!“
Am 25. August 2021 haben die Abgeordneten aller Oppositionsparteien gegen die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gestimmt. Selbst in den Fraktionen der Regierungsparteien gibt es 19 Abweichler bei der CDU/CSU und zwei bei der SPD. Es bleibt zu hoffen, dass spätestens Ende November, wenn erneut über eine eventuelle Verlängerung der Notlage abgestimmt wird, die nicht evidenzbasierten Maßnahmen in Deutschland ein Ende finden.