«Here comes the Master, of Sensation»

Szenische Lesung von Edward Bernays’ «Propaganda»

ein Beitrag von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten
Circe – Franz v. Stuck (1912)

Die Corona-Krise ist ohne die manipulative Meinungsbildung nicht denkbar. Politik und Medien hatten dafür gesorgt, dass ein Großteil der Bevölkerung plötzlich offensichtlich autoritäre Maßnahmen begrüßte und anfing, gegen die eigenen Grundsätze zu agieren. Er ließ sich aufhetzen, andere Menschen denunzieren – und ja: in die Angst treiben. Bewirkt wurde das mit zahlreichen Narrativen, die die Handschrift von Leuten tragen, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Methoden wirkungsvoller Meinungslenkung ausgearbeitet haben. Der wohl einflussreichste von ihnen ist Edward Bernays. Seine 1928 erschienene Schrift «Propaganda» dient seit jeher als Handbuch für Marketingabteilungen und Medien, für Politikberater und Militärstrategen.

Was Bernays in seinem Werk auf knapp 160 Seiten ausbreitet, ist das Know-how, wie sich eine gesellschaftliche Atmosphäre schaffen lässt, in der die Menschen ganz bestimmte Bedürfnisse entwickeln. „Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften“, heißt eine markante Passage. „Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe.“ Die gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung sei eine Notwendigkeit, um die Konflikte der Gesellschaft zu überwinden, so Bernays.

Das bedeutet aber auch: Wer die öffentliche Meinung zu lenken weiß, kann die eigenen Interessen durchsetzen. Dafür sind unter anderem Narrative mit speziellem Inhalt notwendig. Um ihnen nicht auf den Leim zu gehen, muss man sich daher stets die folgende Frage stellen: Wer erzählt was, auf welche Weise und warum? Der Schauspieler Gerhard Vondruska tat das, schon zu Beginn der Corona-Politik, vor allem aber nach dem geschichtsträchtigen Auftritt des RKI-Chefs Lothar Wieler, als dieser in einer Pressekonferenz verlautbaren ließ, dass die Maßnahmen niemals hinterfragt werden sollten. Das machte Vondruska stutzig und veranlasste ihn, sich mit Theoretikern und Vordenkern totalitärer Systeme zu beschäftigen. So stieß er auf Bernays und wollte dessen Gedanken unbedingt künstlerisch verarbeiten. „Der Plan war von Anfang an: Es braucht den direkten Austausch ohne zwischengeschaltete Medien“, sagt der 61-Jährige. „Eine szenische Lesung also.“ Die hat er nun mit zwei Schauspielkollegen realisiert.

Das Publikum wird eingebunden

Unter dem Titel «Here comes the Master of Sensation» führt er zusammen mit Birgit Nägele und Jean-Theo Jost eine Show auf, die verschiedene Elemente enthält. Die drei Protagonisten lesen sitzend und in verteilten Rollen aus Bernays’ «Propaganda». Ergänzt werden diese Passagen durch Zitate aus den Schriften seiner beiden Zeitgenossen Walter Lippmann und Wilfried Trotter, die die gezielte Meinungslenkung nicht weniger geprägt haben. Zwischendurch stehen die Schauspieler auf und ergreifen das Mikrophon, um zum Beispiel Platon zu zitieren. „In seiner Philosophie zeigen sich Bausteine totalitären Denkens“, erklärt Vondruska. „Das hat Karl Popper in seinem Buch «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» dargelegt.“ Der dreiköpfigen Schauspieltruppe geht es nicht nur darum, das Publikum zu berieseln. Sie will es auch in das Stück einbeziehen. So werden beispielsweise Visitenkarten einer bekannten PR-Firma verteilt, um ein spielerisches Element einzubauen, das darauf verweist, wie sehr Bernays das heutige Marketing geprägt hat. In anderen Szenen finden Lockerungsübungen oder eine Klatschorgie statt.

Ernsthaftigkeit wird mit Humor vermischt, theoretischer Philosophiejargon mit Passagen im Dialekt. Das Ziel ist es, das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Es soll sensibilisiert werden für die verhaltens- und meinungslenkenden Elemente in den offiziellen Narrativen. Kurzum: Es soll zweifeln und Fragen stellen. Dieser Impetus drückt sich bereits in der Bezeichnung der Schauspieltruppe aus, die als „Erisische Kontrollgruppe“ auftritt. Abgeleitet ist der Name von der griechischen Göttin Eris. Sie sorgt nicht nur für Chaos und Unordnung, sondern eben auch für den Zweifel. Die Herleitung sei ironisch zu verstehen, sagt Vondruska: „Alle, die dem Ethos der Eris folgen, führen Krieg für den Zweifel.“ Die Schauspieltruppe tut es, indem sie bei der szenischen Lesung interaktiv Bernays’ Handwerkskasten unter die Lupe nimmt und vor allem die Folgen seiner Wirkweise kritisch betrachtet.

Bernays’ Werdegang

Von ihm gelernt haben solche Leute wie Joseph Goebbels. Die Propaganda des NS-Regimes fußte zu großen Teilen auf den Handreichungen, die Bernays über Jahre ausarbeitete. Er selber war der Neffe von Sigmund Freud und erhielt durch diese Nähe schnell Einblick in die Tiefen der Massenpsychologie. Seine Erkenntnisse nutzte er zunächst in einem Gewerbe, das damals noch unter dem unscheinbaren Namen «Verbraucherinformation» firmierte. Nach und nach revolutionierte der gebürtige Wiener nicht nur eine Branche, sondern stieg auch mit seinem Erfolg in die US-amerikanischen Zirkel der Macht auf. Fortan galt seine Arbeit der gezielten Ausrichtung der öffentlichen Meinung. Er entwickelte spektakuläre Kampagnen der psychologischen Kriegsführung und feilte an Aktionen der politischen Propaganda.

Der Einfluss seiner Arbeit reicht bis in die Gegenwart. Auch wenn die Methoden der gezielten Meinungslenkung im Laufe der Zeit perfektioniert wurden, haben sie ihren Ursprung in Bernays’ Tätigkeit in jenen Machtzirkeln. „Da bleibt es nicht aus, sich die Frage nach der Moral und dem Menschenbild in diesem Gewerbe zu stellen“, sagt Vondruska. „Auch das ist Thema unserer szenischen Lesung. Im Eigentlichen ist es aber ein Diskurs über die Vordenker und Anwender und die ihnen inhärente Geisteshaltung.“ Seine Premiere feierte «Here comes the Master, of Sensation» im Juni dieses Jahres in dem Berliner Lokal Raum 17. Einen Monat später fand ein weiterer Auftritt bei der Neuen Gesellschaft für Psychologie statt, einer mehrtägigen Tagung, der viele Kritiker der Corona-Politik beiwohnten. Vor wenigen Wochen präsentierte die Erisische Kontrollgruppe ihre Show schließlich im Berliner Al Hamra.

Obwohl sich die Aufführung bislang auf die Hauptstadt beschränkt hat, wollen die drei Schauspieler mit «Here comes the Master, of Sensation» auf Tour gehen. Da kritische Künstler bei konventionellen Bühnen so gut wie keine Auftrittsmöglichkeiten bekommen, bemüht sich das Trio um Kontakte zu alternativen Veranstaltern. Mit einigen – auch Schweizer Bühnen  – sei man im Gespräch. Im Frühjahr 2023 sei ein Auftritt in Potsdam geplant. Was der Erisischen Kontrollgruppe Probleme bereitet, sind die finanziellen Herausforderungen, die eine Tour mit sich bringt. Deswegen hofft sie auf Sponsoren. Mit ihrer Hilfe könnte es gelingen, ein größeres Publikum für die Tricks und Kniffe der gezielten Meinungsbildung zu sensibilisieren, die Edward Bernays in seinem bahnbrechenden Werk gebündelt hat.

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