Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zum selbst zusammenstellen

Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben”

Ein Beitrag von Camilla Hildebrandt

Lesedauer 6 Minuten
© Foto Catharina Lovreglio

Anfang November 2021 wurden in Deutschland und Österreich die 2G- und 2G plus-Regel umgesetzt. Die Stuttgarter Zeitung schrieb dazu in ihrer Rubrik Wissen:
Die „2G plus“-Regel ist eine verschärfte Variante der 2G-Regel. Das heißt, nur noch Geimpfte und Genese haben dort Zugang, wo die Regel eingeführt wird. Der bedeutende Unterschied zur einfachen 2G-Regel besteht darin, dass bei 2G plus zusätzlich ein negativer Corona-Test erforderlich ist. Für Personen, die bereits eine Booster-Impfung erhalten haben, entfällt die Testpflicht jedoch.“ Für Ungeimpfte bedeutete das: Kein Zugang zu Geschäften, Bars, Restaurants, Büchereien, Fitnesscentern, Theatern, Clubs, Cafés, Yogazentren, Schwimmbädern, unter anderem zu Universitäten und auch zu vielen Arbeitsplätzen. Ausschließlich Geimpfte hatten dort Zugang, wo an den Türen ein 2G-Schild prangte. Kirsten H. wollte 2021 auf den Weihnachtsmarkt gehen:
„Bei uns bekamen Geimpfte rote Armbändchen, Getestete bekamen gelbe. Nur diejenigen mit den Roten durften sich Getränke und Essen kaufen. Für Nichtgeimpfte etwas mitbringen durfte man nicht.“ Die Arbeits-Kollegen von Irene K. planten eine Glühweinwanderung: „Alle zusammen konnten gehen – solange ich als Nicht-Geimpfte nicht dabei war. So mussten alle hoffen, dass ich mich nicht anmelde.“
Dilek Kalayci (SPD), damals noch Berliner Gesundheitssenatorin, riet der Bevölkerung zusätzlich am 11. November 2021 per Twitter: „Impfung jetzt! Nach 6 Monaten: Booster-Impfung! Empfehlung privat: Kontakt nur mit Geimpfte(n)!“

Screenshot Twitter

Zur besten Sendezeit gab Hanni Hüsch vom Bayerischen Rundfunk, im Rahmen der ARD Tagesthemen-Kommentare am 18. November 2021, dazu ihre Meinung an die Bundesrepublik kund: „Gott sei Dank haben Sie das Infektionsschutzgesetz nachgeschärft. (…) Gut also, dass die Länderchefs gemeinsam vom Bund die Impfpflicht für Heil- und Pflegeberufe fordern. Und richtig, dass 2G kommt. Mögen die einheitlichen Regeln den Krankenhäusern helfen und Impfmüden endlich Beine machen. Zu ihrem und unser aller Schutz. Und wenn das nicht reicht, müssen Sie eben im Bundestag noch mal ran. Olaf Scholz hat das versprochen. Viele Grüne wollen es eh, und die FDP sollte sich fügen.“
Die Frage ist: Handelte es sich bei den genannten Beispielen um Diskriminierung Ungeimpfter?

Diskriminierung – eine Definitionsfrage?

Auf der Webseite der Antidiskriminierungstelle der Bundes erfährt der Leser die Bedeutung des AGG, des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Dieses „regelt umfassend, was aus juristischer Sicht als Diskriminierung anzusehen ist“. Unter AGG, Paragraph 1 steht: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

Catharina Lovreglio, Sozialpädagogin und aktuell (Dezember 2022) im Berufsverbot, aufgrund ihrer Entscheidung gegen die Covid19-Impfung, war bis Sommer 2021 mit einem befristeten Vertrag in der Psychiatrie eines Krankenheims für seelisch und psychisch Kranke beschäftigt. Ihr Vertrag hätte verlängert werden sollen, jedoch nur unter der Voraussetzung, sich impfen zu lassen. Catharina entschied sich aus gesundheitlichen Überlegungen dagegen und wurde daraufhin massiv gemobbt.
Sie kündigte. „In dem Wohnbereich, den ich mitbetreute, leben psychisch kranke Menschen, die überwiegend gesetzliche Betreuer haben“, erklärt Catharina. “Ich wurde aufgefordert, Ende 2020 die von mir betreuten Menschen zur Spritze zu beraten, bzw. zu drängen. Dies lehnte ich ab. Gesetzliche Betreuer wurden ebenso gedrängt, einige erpressten ihre Mandanten, indem sie ihnen sagten, ihr Wohnplatz sei gefährdet, sofern sie die Spritze nicht akzeptieren.“

Diskriminierung ist in Deutschland verboten, wie man auf der Webseite der Antidiskriminierungstelle der Bundes erfahren kann, “(…) und mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt es ein Regelungswerk, das vor Diskriminierung (…) schützt.“ Allerdings greift der Diskriminierungsschutz des AGG nicht immer. Denn als Diskriminierung wird nur anerkannt, so die Zusatzinformation auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle: “(…) wenn Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Der Impfstatus als solcher und die Tatsache geimpft, genesen oder getestet zu sein, ist keine nach dem AGG geschützte Eigenschaft bzw. kein gesetzlich verbotener Unterscheidungsgrund.“

Der Impfstatus als solcher und die Tatsache geimpft, genesen oder getestet zu sein, ist keine nach dem AGG geschützte Eigenschaft bzw. kein gesetzlich verbotener Unterscheidungsgrund

Wenn der CDU-Politiker Tobias Hans in der Talkrunde bei Maybritt Illner Anfang Dezember 2021 verkündigt: “Die Ungeimpften müssen wissen: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben” und Sozialpädagogin Catharina Lovreglio wegen ihres Impfstatus den Arbeitsplatz verliert, handelt es sich nach deutscher Gesetzgebung nicht um Diskriminierung. Wenn Mitbürger ohne COVID-Impfung weder Restaurants, Bekleidungsgeschäfte, Büchereien noch Kinos besuchen dürfen und somit aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, wenn ungeimpfte Lehrer von Politiker und Autor Thilo Sarrazin bei ServusTV als „verhaltensgestört“ bezeichnet werden („Wer nicht geimpft ist und durch die Welt geht, gefährdet andere. […] Und dem würde ich mindestens das Gehalt kürzen.“) und „Bewerberinnen und Bewerbern mit Nachweis einer vollständigen COVID-19 Schutzimpfung bei gleicher fachlicher Eignung der Vorzug gegeben (wird)“, wie die Technische Universität Graz, in Österreich, auf ihrer Webseite im Oktober 2022 schreibt, dann handelt es sich laut AGG nicht um Diskriminierung.

Was ist Diskriminierung?

„Heute nun präsentieren Olaf Scholz und Co. einen Wums ganz anderer Art für Ungeimpfte. Über Parteigrenzen hinweg. Plötzlich ist vieles möglich, was monatelang ausgeschlossen wurde: Ein Lockdown für Ungeimpfte oder eine Impfpflicht. Jetzt ist die Lage so, dass alles geht, gehen muss. Jetzt ist der Druck groß. Viele Intensivmediziner, aber auch Geimpfte wie ich hätten sich das früher gewünscht.“ ARD Tagesthemen- Kommentar, 02. Dezember 2021, Birgitta Weber, SWR

Sozialpädagogin Catharina Lovreglio fand nach ihrer Kündigung eine neue Stelle im Bereich der Eingliederungshilfe. Sie gab an, ungeimpft zu sein. Das sei kein Problem, sagte man ihr, es bestünden die üblichen sechs Monate Probezeit. „Als das Thema Einrichtungsbezogene Impfpflicht kam, ließ ich mich beim Betriebsrat beraten“, berichtet die Sozialpädagogin, “der mir sagte, es gäbe noch keinerlei Grund zur Sorge. Ich hatte zwei geimpfte Kollegen, die verlangten, dass ich mich unter ihrer Aufsicht täglich teste, was ich ablehnte. Kurz vor Ende meiner Probezeit wurde mir plötzlich mitgeteilt, daß mein Arbeitsvertrag nun ende.“ Ein Kollege hatte sich vermutlich an die Geschäftsführung gewandt und deutlich gemacht, dass er nicht bereit sei, weiter mit Catharina zusammenzuarbeiten.
„Ich demonstriere seit 2020 und wurde von der Antifa laut als Nazi beschimpft, ich wurde eingekesselt von der Polizei. Meine Nachbarin sagte mir, ´ich finde es richtig, daß Menschen, die mit Menschen arbeiten, ohne Impfung nicht arbeiten dürfen´. Ich bin tatsächlich krank geworden, was ich psychosomatisch einordne. Meinen Beruf habe ich mit großer Freude und Engagement ausgeübt, mein letztes Zeugnis war hervorragend, absurd in Anbetracht der Kündigung”, resümiert Catharina.

„Auch in der vierten Welle der Pandemie müssen wir fürchten, dass wieder Menschen sterben, weil Pflegende durch ihr Verhalten andere gefährden und ihrer ethischen Selbstverpflichtung nicht nachkommen. (…) Nur eine durchgeimpfte Gesellschaft bietet bestmöglichen Schutz vor dem Virus.“
ARD Tagesthemen-Kommentar, 10. Dezember 2022, Gottlob Schober, SWR

Benachteiligung, Demütigung, Entehrung

Laut deutscher Rechtsprechung und AGG wurden COVID-19-Ungeimpfte zu keinem Zeitpunkt diskriminiert. Nachweislich wurden und werden jedoch Menschen in Deutschland aufgrund ihres COVID-19-Impfstatus, beziehungsweise ihrer Kritik an der Corona-Politik, auf menschenverachtende Art und Weise diskriminiert und diffamiert, sie wurden und werden benachteiligt (Ausschluss aus dem sozialen Leben und der Arbeitsstelle), gedemütigt („Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, Nikolaus Blome, Journalist), entehrt („Diese Leute müssen behördlich erfasst und augenblicklich radikal entfernt werden. Hier ist SCHLUSS mit “GEMEINSAM”. ABGANG, DUMMFRATZEN!”, Hanno Settele, Journalist),
und entwürdigt („Die unbewusste Ideologie der Denkpest ist wie unangenehmer Körpergeruch, Betroffene sind nicht ohne Weiteres in der Lage, es zu riechen – aber alle anderen leiden darunter. (…) Die Denkpest lässt sich als Vorform und Nährboden der Verschwörungsideologie begreifen“, Sascha Lobo, Spiegel-Kolumnist).

Die Synonyme für Diskriminierung sind laut Duden: Benachteiligung, Demütigung, Entehrung, Entwürdigung. Hier ergibt sich nun die Frage: Können wir als Gesellschaft nur mit offizieller Anweisung Diskriminierung erkennen? Benötigt Deutschland ein Gesetz, um menschenverachtendes Handeln zu ahnden? Oder ist die viertgrößte Industrienation der Welt zur Selbsteinsicht fähig?
Zur Einsicht, dass wir sofort und mit radikaler Eigenanalyse beginnen müssen, die Entwürdigung der Ungeimpften und Corona-Maßnahmen-Kritiker auf allen Ebenen aufzuarbeiten. Das gilt für Politiker, Journalisten, Ärzte, Lehrer, für Konzerne, Nachbarn, Sportzentren, für mittelständische Unternehmen, für uns selbst, Freunde und die Familie. Denn ohne Aufarbeitung hüllen wir uns erneut in den Mantel des Schweigens, vergraben uns unter einem Selbstbild, das aktuell im erschreckenden Gegensatz zur Realität steht. Denn dieses Selbstbild besagt laut Bundeszentrale für Politische Bildung: „(…) dass hierzulande die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stark in den Köpfen der Menschen verankert (ist) und aufgrund der deutschen Geschichte einen speziellen Stellenwert (besitzt)“.

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