von Jan Veil
Lesedauer 4 MinutenIm Juni 2024 fand in Baden-Württemberg eine von Querdenken (QD) 7171 (Schwäbisch Gmünd) organisierte Podiumsdiskussion mit ‚nach rechts offenen Linken‘ und – ganz offensichtlich – ‚nach links offenen Rechten‘ statt, und das, obwohl man sich von offizieller Seite seit vielen Jahren doch so viel Mühe gegeben hat, derlei anrüchige Veranstaltungen möglichst vollständig zu unterbinden. Der Autor plädiert für das demokratiepraktische Potential solcher Podien und erinnert an ein doch eher versöhnliches, exemplarisch zu interpretierendes Statement: „Ich muss geradezu nach rechts offen sein … weil: linker als ich — geht nicht [Zwinker-Smiley].“

Podiumsdiskussionen mit ‚nach rechts offenen Linken‘ und ‚nach links offenen Rechten‘ kommen selten – und im zeitgenössischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkbetrieb fast gar nicht – zustande, sind aber dringend notwendig. Denn jede einzelne gibt ein Beispiel für die schrittweise Überwindung oft obrigkeitsstaatlich verordneter sowie obrigkeitshörig befolgter Kontaktschuld-Direktiven. Alle Kontaktschuld-Narrative haben doch einen gemeinsamen Kern: Ganz offensichtlich handelt es sich hierbei um eines der hierzulande populärsten, ‚urdemokratischen‘ Prinzipien, dem man gut und gerne das Ikon eines satt in der Hand liegenden Baseballschlägers (selbstredend in rein symbolischer (?) Form) zuordnen könnte, der die überdeutlich lesbare Aufschrift trägt: „Bedenkenlos zu verwenden bei Nazis, Rechtsradikalen, Rechten, nach rechts Offenen sowie denen, die tatsächlich noch mit solchen reden“ (und daher im Grunde ebenfalls Nazis, Rechtsradikale, Rechte, nach rechts Offene oder auch – dieser Logik folgend – gegenüber nach rechts offenen Offene sind – was dann doch stark an ebenso beliebte wie einschlägige Denkfiguren wie ‚Dominoeffekt, Sippenhaft, Infektiosität‘ etc. erinnert). Gewalt – und nicht allein psychische – gegen Andersdenkende ist im woken Milieu mitunter bekanntlich ja dann in Ordnung, wenn sie ‚die Richtigen trifft‘, umso mehr, wenn sie, praktischerweise, von anderen Gleichgesinnten ausgeübt wird – moderne Arbeitsteilung eben. Und so bequem. Da haben viele halt noch immer nicht verstanden, was z.B. ein Voltaire unter Meinungsfreiheit im Kern verstanden hatte … ganz offenbar eine Frage des jeweils zugrunde liegenden Menschenbildes.
Ein Podium in Schwäbisch Gmünd
Das in Rede stehende Podium, das bereits am 22.06.24 stattfand, ist zu finden unter:
https://youtube.com/live/Cn3sa78ASlI?feature=share
KlardenkenTV: Podiumsdiskussion zum Thema: Demokratischer Umgang mit Andersdenkenden, Ausgrenzung nein danke! | Teilnehmer: Anselm Lenz | Tobias Pfennig | Marcus Fuchs | Jan Veil | Stefan Schmidt | Hendrik Sodenkamp || Moderation: Daniel Langhans | Durlangen | 22.06.24 | 2:32:59 [VÖ am 04.07.24]
oder (in Anbetracht der ‚Community-Richtlinien‘ von YouTube) auch unter:
https://odysee.com/@Klardenkentv:6/podium20240704:8
Zu den teilnehmenden Personen: Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp geben seit knapp 5 Jahren die in Zusammenhang mit den Corona-Protesten entstandene Wochenzeitung „Demokratischer Widerstand“ in bemerkenswerter Auflagenstärke heraus; sie ist seit einiger Zeit mitunter auch an öffentlichen Kiosken erhältlich. Tobias Pfennig ist Mitglied bei den „Freien Sachsen“ und Friedensaktivist; ferner bezeichnet er sich als „Kommunist“. Marcus Fuchs ist Mitbegründer von QD 351 (Dresden) und hat bereits mehrere Großdemos organisiert. Er bezeichnet sich als „transpolitisch“, d.h. als dem üblichen Links-Rechts-Schema nicht zuordenbar. Stefan Schmidt ist Mitglied bei den „Freien Sachsen“ und kandidierte 2024 als Bürgermeister einer sächsischen Kleinstadt im Erzgebirge. Jan Veil ist unabhängiger Friedens- und Grundrechteaktivist, Autor und Gründer des Frankfurter Arbeitskreises ‚Forderungen und Zielvorstellungen‘. Ferner gehört er der ‚Freien Linken‘ an, einer strömungsübergreifenden, zivilgesellschaftlichen Bewegung. Daniel Langhans ist Kommunikationstrainer, Aktivist und Moderator. 2023 kandidierte er als Oberbürgermeister in Ulm.
Argumente der Kontaktschuld-Vertreter auf dem Prüfstand
Sollte der eine oder die andere unter den geschätzten Lesern wegen dieser Zusammensetzung nun – also bereits vor (!) Sichtung – eine innerliche Empörung (à la „Also des geeht ja gaa net!“) verspüren, so bitte ich schlicht darum, bei Rezeption in erster Linie zunächst darauf zu achten, was gesagt wurde, nicht primär darauf, in wessen Beisein – den jeweils Sprechenden übrigens eingeschlossen, denn: Auch ein sowohl intellektueller (Fakten-Ebene) als auch intuitiver (Glaubwürdigkeits-Ebene, noch schwerer) Abgleich des durch die Medien vermittelten Bildes eines Menschen mit dessen vitalen Selbstäußerungen stellt für mein Dafürhalten eine gar nicht mal so abwegige Kulturtechnik dar. Gell.
Das Argument: „Man darf solchen Leuten doch keine Bühne bereiten oder diese gar mit ihnen teilen!“, verfängt m.E. mitnichten, denn um die Extremmöglichkeiten zu benennen: Entweder jemand äußert fatalen Bullshit (der den massenmedial genährten Bildern möglicherweise gar entsprechen mag). Dann kann man ihm direkt mit anderen Standpunkten/Aspekten argumentativ – und gerade nicht diskurslos bzw. (bloß) emotional und/oder moralisch abwertend – begegnen, um bestimmten Rezipienten potenziell neue Einblicke zu ermöglichen, gerade auch dann, wenn man die eigenen Argumente für überzeugend hält. Zudem: Glauben nicht gerade tatsächlich demokratisch orientierte Leute sowie (nicht System-) Linke (und hier wieder ausgenommen die autoritär ausgerichteten) an die Menschen als Individuen, die sich ihr Urteil – bei eigener Wahl aus einem möglichst breiten, möglichst zugänglichen Quellen- und Reflexionsspektrum – am besten eigenständig bilden, ohne es durch betreutes (Vorweg-)Denken, Ausgrenzung, Abwertung und Zensur vorzerkaut und vorverdaut serviert zu bekommen? Ja Mahlzeit.
Oder jemand äußert sich, auch das soll schon vorgekommen sein, plötzlich ganz anders als zunächst erwartet – und man macht evtl. die Lernerfahrung, dass die entsprechende Person gar nicht mal so reaktionär, rassistisch, faschistisch etc. ist wie ‚gevorurteilt‘ = vorverurteilt. Hier müsste man allerdings die – gelegentlich auch schmerzhafte, da Veränderungsmöglichkeiten hinsichtlich der eigenen Wahrnehmung zulassende – Offenheit mitbringen, gewohnte, mitunter gar liebgewonnene und in der eigenen Community gehegte Feindbilder zumindest ein Stück weit loslassen zu können … um so wenigstens ein kleines bisschen dazu beizutragen, die gesamtgesellschaftlich krass verfahrene und aufgehe(i/t)zte ‚Diskurs‘-Situation wieder mehr in Richtung Entschärfung zu beeinflussen, anstatt sie unausgesetzt weiter zu verschärfen. Selbstredend gibt es zwischen diesen beiden ‚Polen‘ alle möglichen Mischformen; die genannten Argumente treffen aber dennoch zu, nur dann halt in den entsprechenden Mischverhältnissen.
Fazit
Natürlich werden der einen oder dem anderen bestimmte Topics bzw. auch Argumente innerhalb der angesprochenen Themenbereiche fehlen. Dies ist, gerade im Rahmen eines 7-köpfigen Podiums, jedoch völlig normal – und nur ein weiterer Grund, warum derlei Settings, auch durch Hinterfragung eigener bzw. zu eigen gemachter Kontakt- bzw. Diskursvermeidungen, immer stärker aus der Tabuzone treten sollten. Dies, um die zutiefst undemokratischen Kontaktschuldnarrative und deren primäre Funktion, nämlich die Spaltung der Gesellschaft in Gutmenschen und Nazis, West- und Ostdeutsche, Normalos und Diverse, Junge und Alte, Werktätige und Arbeitslose … name it! … schrittweise außer Kraft zu setzen bzw. zu überwinden. Verlieren wir die Fähigkeit zu möglichst unvoreingenommener Kommunikation, gerade mit Andersdenkenden, wird die Gewalt gegen sie zwangsläufig zunehmen. Ist eigentlich ganz einfach.