Eine Gesprächsnotiz von Katja Zanger
Das kollektive „Tagebuch“ dient der Dokumentation und Selbstreflexion der zivilgesellschaftlichen Arbeit für Meinungsfreiheit in einer Zeit, wo dieses und andere Grundrechte gefährdet sind: Wer erinnert sich nicht an ein Gespräch oder einen schriftlichen Austausch über die Coronapolitik, bei dem er besonders verzweifelt war über Aggressionen, Mauern, Predigten oder im Gegenteil überrascht darüber, dass plötzlich eine Tür aufging, eine Frage berücksichtigt oder ein Argument angehört wurde. Und an welcher Stelle in der Auseinandersetzung war es möglich, etwas von den Gefühlen, Motiven, Begründungen der anderen Seite nachzuvollziehen und vielleicht gemeinsam weiterzuentwickeln? Welche Situationen und Medien der Kommunikation sind überhaupt geeignet, um in einen Kontakt mit Andersmeinenden zu kommen? Zeichnen sich bei solchen Erlebnissen Entwicklungen im gesellschaftlichen Diskurs ab? Dieser Ort im Magazin ist offen für alle kommunikativen Erfahrungen – Erfahrungen, die einschlägig sind, weil sie etwas über den Stand der Debattenkultur und Meinungsfreiheit in unserem Land aussagen.
Dreiundzwanzig Menschen sitzen beisammen. Die Fensterläden sind geschlossen, der Verkehrslärm dringt gedämpft durch die Tür. Hier haben sich Verschwörungstheoretiker versammelt. Oder Verschwörungstheorie-Theoretiker. Nach einem Kick-off über Caesars Mörder Brutus und über die Brutkastenlüge, Anlass für den Zweiten Golfkrieg, geht es erst einmal um den Begriff der Verschwörungstheorie.
Verschwörungstheorie-Theorie
Der Griff zum Duden: “Verschwörungstheorie ist die Vorstellung oder Annahme, dass eine Verschwörung Ausgangspunkt von etwas sei. Verschwörung ist die gemeinsame Planung eines Unternehmens gegen jemanden oder etwas”. Ein wenig ausführlicher wird die Website wortbedeutung.info. Sie bezeichnet die Verschwörungstheorie als den “Versuch, Ereignisse, Zustände oder Entwicklungen durch eine geheime Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken von zwei oder mehr Personen zu einem verborgenen, illegalen oder illegitimen Zweck”. Doch so neutral wird der Begriff nicht verwendet. Er ist an Beliebtheit unübertroffen, wenn es darum geht, missliebige Kritiker zu diffamieren. Karl Popper meinte 1945, die Verschwörungstheorie der Gesellschaft sei eine falsche Theorie; und so wird der Begriff seit dem Ende der 60er Jahre zur Diffamierung genutzt, damals durch die CIA, bald aber auch international.
Who’s afraid of Verschwörungstheorie?
Who’s afraid of Verschwörungstheorie? Gibt es nicht solche und solche, wahre Verschwörungstheorien und abstruse? Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen ist es doch unabdingbar, sich möglichst vorurteilsfrei allen möglichen Erklärungsversuchen für einen Sachverhalt zu öffnen. Jeder gute Kriminalbeamte muss so arbeiten. Auch investigative Journalisten sollten alles für möglich halten. Verschwörungen gab es zu allen Zeiten, das ist bekannt. Warum also wird heutzutage der Versuch, eine Verschwörung sichtbar zu machen, psychopathologisiert? Die Antwort ist wohl einfach: weil die Diffamierung so gut funktioniert. Man kann Kritiker auf diese Weise ohne argumentativen Aufwand aus dem Feld räumen. Es ist eine Frage der Perspektive: Wer hier als investigativer Journalist bejubelt wird, wird dort als Verschwörungstheoretiker verlacht und geächtet. Ob sich eine solche “Theorie” als richtig oder falsch erweist, kann man nur herausfinden, wenn man ihr nachgeht. Doch Bürger, die Vertrauen haben wollen und Ordnung um sich herum, die nach Ruhe suchen in unruhigen Zeiten, wollen manches lieber gar nicht wissen.
Dabei gibt es an Verschwörungstheorien durchaus etwas auszusetzen. Wenn sie nämlich das tun, was ihnen pauschal unterstellt wird: Wenn sie einfache Lösungen für komplexe Vorgänge konstruieren, wenn sie sich auf Falschbehauptungen oder Ungeprüftes stützen. Wenn sie Richtiges bewusst falsch zusammensetzen. Und vor allem, wenn die Verschwörungstheorie selbst zur Verschwörung wird, also illegitime Interessen verfolgt und nicht die Wahrheitsfindung zum Ziel hat.
Was sind die Ursachen für unsere Lage?
So haben wir uns halbwegs durch den Begriffsdschungel gewühlt. Das aber war nur die Vorarbeit. Denn eigentlich wollen wir über unsere persönlichen Erklärungen für die aktuelle Situation in unserer Gesellschaft sprechen. Wir alle reiben uns an ihr auf, doch wir sehen unterschiedliche Ursachen. Planung oder Inkompetenz? Absicht oder Zufall? Die Einen mögen nicht glauben, dass sich die weltumspannende antidemokratische Entwicklung, die wir gerade erleben, gezielt planen lässt. Oder: Planen vielleicht, aber umsetzen? Zu viele unterschiedliche Kräfte wirken gleichzeitig in verschiedene Richtungen; es ist unwahrscheinlich, dass eine überschaubare Gruppe von Verschwörern eine einheitliche Strategie durchsetzen könnte.
Der andere Teil unserer Runde sieht das gar nicht so. Zu vieles passt nicht zusammen, anderes passt zu gut. Wozu all die Lügen und die organisierte Panikmache, die an psychologische Kriegsführung erinnert? Man denke nur an das sogenannte “Panikpapier” des deutschen Innenministeriums. Es stinkt nach Inkompetenz, ja. Aber wozu setzt man fachfremde Ideologen an ein Konzept von “nationaler Tragweite”, wenn es doch kompetente Fachleute zur Pandemiebekämpfung gibt? Ähnlich beschreibt Laura Dodsworth in ihrem Buch „State of Fear“ die staatlich organisierte Angstproduktion in UK. Wozu die Lügen und die Vehemenz, mit der Sachverhalte einseitig und mit mangelhafter Evidenz durch die Massenmedien gepeitscht werden? Wozu die Brutalität, mit der Kritiker ins Abseits und sogar in existenzbedrohliche Lagen gedrängt werden? Es ist schwer, kein Muster und keine Intention darin zu sehen. Keine “Maßnahme” ist zu absurd: Impfstatus-Farbbänder für Studierende, Abschaffung der Lohnfortzahlung bei Quarantäne für Ungeimpfte, kostenlose Tests nur noch für Geimpfte, Lockdown für Ungeimpfte… Die Aufzählung ließe sich endlos fortführen. Sie reizt zu irrem Gelächter. Bei Impfungen von Kindern hat der Spaß allerdings schon lange ein Ende gefunden.
Digitaler Impfpass
Alle Maßnahmen führen zum digitalen Impfpass, wie auch alle Wege nach Rom führen. Sollte es Zufall sein, dass zu den Gründungsmitgliedern des digitalen Pass-Projektes “ID2020” Microsoft, die Rockefeller Foundation und Gavi, die Impf-Alliance, gehören? Da klingelt es einem doch in den Ohren von wegen: “Wir werden sieben Milliarden Menschen impfen”. Und da klingeln das Lock-Step-Szenario der Rockefeller Foundation, Klaus Schwabs Great Reset und die Vierte Industrielle Revolution, die Nullzins-Politik, der kommende Finanzcrash und die Abschaffung des Bargeldes … Sind das Menschen, die Visionen haben, aber nicht zum Arzt gehen? Dann würde man sich den Arzt wirklich wünschen, denn sie haben die Macht, ihre Visionen umzusetzen.
Wir halten uns nicht lange bei den möglichen Verschwörungen auf. Wir einigen uns darauf, dass in diesem Konzert verschiedener Spieler, Zuschauer, Interessen und Absichten eine unplanbare Eigendynamik entsteht, dass es aber gleichwohl mächtige Gruppierungen gibt, die hochprofessionell, gut ausgerüstet und vernetzt beständig auf ihre Ziele hinarbeiten und dass sie eine globale Dynamik lenken könnten. Aber müssen wir uns wirklich damit beschäftigen?
Was wissen wir wirklich, und was hilft es uns?
Die nächste Frage heißt: Was macht das mit uns – diese Jagd nach den neuesten Enthüllungen, Verwerfungen, Erbärmlichkeiten, Lügen, Leaks, Forschungsergebnissen? Wir machen uns auf die Suche nach der Wahrheit oder auch nur der Illusion von Wahrheit, und wir begeben uns dabei in einen Kampf, in dem wir zu etwas werden, was wir gar nicht sein wollen. Ich spreche über mich: Mich macht das wütend, ruhelos, entsetzt, verbissen und bissig, niedergeschmettert, fassungslos – aber ich denke wenigstens, ich weiß Bescheid.
Und wir hier? Brauchen wir das? Ja, denn wir wollen Zusammenhänge verstehen, um den Lügen nicht auf den Leim zu gehen. Und nein, denn das kostet Zeit und Kraft, und es gibt Menschen, die nie auf der Achse des Guten, beim Corona Ausschuss, TKP, corona blog.de … surfen und die trotzdem wissen, dass etwas faul ist. Was wissen wir denn wirklich? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir alle aushalten, dass wir nichts wissen. Die Wahrheit ist ein hohes Gut. Doch wir müssen uns eingestehen, dass sie auch ein rares Gut ist. Und wie viel Kraft kostet der Streit ums ‘Recht haben’, wie viel Spaltpotential hat er!
Der demokratische Konsens als Illusion
Wir wollen unser Leben gestalten, gemeinsam. Uns sollte daher interessieren, was Verschwörungstheorien und der Umgang mit ihnen über unsere Gesellschaft aussagen: Wie sprechen wir miteinander? Wer bestimmt die Themen, den Ton? Was verändert sich gerade? Welche Interessen werden sichtbar? Wie konnte unser gesellschaftliches Klima so gekapert, wie konnten moralische Vorstellungen innerhalb kürzester Zeit gekippt und die Menschen so gegeneinander aufgehetzt werden? Weil es Menschen gibt, die ein Interesse daran haben und die darauf hinarbeiten? Hilft uns das weiter? Wir wollen das Spiel nicht mitspielen, wir wollen nicht hassen, nicht hetzen, uns nicht verbarrikadieren. Wir wollen in die Zukunft denken. Die Krise hat den demokratischen Konsens als Illusion entlarvt, und alles Suchen und Fragen führt zum Menschen, zu seinem Sein, seiner Stärke, seiner Schwäche und Angst. Unser Ausblick ist gemischt: Die Narrative werden bleiben und von uns als Selbstverständlichkeit hingenommen werden. Aber vielleicht werden sie doch scheitern, am wilden Chaos unserer Lebendigkeit.
Dieser Text spiegelt eine Gesprächsrunde im Verein 1bis19 wieder, so wie sie sich in mir abgebildet hat. Es war inspirierend, all den klugen Gedanken zu folgen. Ich freue mich auf viele weitere!