Brief an meine früheren Freunde

von Johannes Kirnberger

Lesedauer 5 Minuten
L’apparition de l’ange ‘a Joseph (ca. 1628) von Georges de La Tour

Es ist mir noch gut in Erinnerung, als sich damals ein paar von uns trafen, im Freien. Es war ein windiger Tag, und wir kamen sehr schnell auf die Situation zu sprechen –  damals, als ich mich über die massiven Eingriffe des Staates in meine Freiheit, die Verletzung meiner Grundrechte beklagte. Die Antwort meiner Gesprächspartnerin war klar und unmissverständlich: Ich sch … auf die Grundrechte, es sterben Menschen an Corona. Hilflos suchte ich nach Worten. Einer meiner Kollegen war vor ein paar Wochen verstorben. Die Hintergründe lagen in einer Verkettung unglücklicher Umstände, verzögerter Diagnose und Hilfestellung durch Ärzte, verspäteter Aufnahme ins Krankenhaus und erheblichen Vorerkrankungen. Doch der Graben war gezogen, und in der Folge stellte sich immer deutlicher heraus: Er ist wohl deutlich tiefer als gedacht. Was ist geschehen?

Wir haben miteinander ein Haus gebaut, Leitungen verlegt, Dächer von großen Mengen Schnee befreit. Wir kannten uns viele Jahre und vertrauten einander. Doch dann habt Ihr kopfschüttelnd reagiert, als wir die Maske beim Betreten eines Restaurants nicht aufsetzen wollten und die Abgabe der Telefonnummer zur Kontaktverfolgung verweigerten. Den Hinweis auf den Erhalt unserer Grundrechte habt Ihr ebenso ignoriert wie die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Es kam der Sommer 2020. Nie habt Ihr uns wie früher in unserer kleinen Welt in den Bergen besucht. Kein Telefonat, kaum Kontakt, und falls wir uns zufällig gesehen haben, hatte jeder von Euch Wichtigeres zu tun – zur Post, zum Zahnarzt oder zur Großmutter. Waren wir ansteckend? Oder anstrengend in unserer Forderung nach einer Rückkehr zu einem funktionierenden Rechtsstaat?

Eure Antwort: Die aktuelle Coronaverordnung

Ihr seid in Urlaub geflogen, habt andere Länder besucht, ohne Maßnahmen. Ist Euch nicht aufgefallen, dass dort kein Massensterben einsetzte? Habt Ihr nicht bemerkt, dass in anderen Ländern weder eine Maskenpflicht noch andere drakonische Maßnahmen umgesetzt wurden? Spätestens im Herbst wusste man mehr über Ansteckungswege, Verbreitung und Gefährlichkeit. Im Freien, so der Wissensstand, konnte sich niemand anstecken. Trotzdem habt Ihr einem Treffen rund um eine Feuerschale anlässlich der Weihnachtszeit nicht zugestimmt. Es war ein Versuch der Annäherung, ein Gläschen Glühwein und ein paar Plätzchen. Die einzige Antwort von Euch: Die aktuelle Coronaverordnung mit Kontaktbeschränkungen.

Der erste längere Kontakt ergab sich erst im Frühjahr 2021. Es gab bereits Impfungen, auch in meinem Arbeitsumfeld. Wir sprachen über die sogenannte Immunisierung und wieder über Grundrechte, Verhältnismäßigkeit. Meine Haltung habt Ihr immer noch nicht akzeptieren können. Ja, Ihr habt mich sogar gefragt, warum ich so dumm sei, mich nicht impfen zu lassen. Das statistische Risiko sei gering, es sei auf jeden Fall erheblich geringer als meine vielfachen sportlichen Aktivitäten in den Bergen. Dabei habt Ihr mir doch vertraut, denn wir waren nicht nur einmal gemeinsam im Hochgebirge unterwegs. Ihr seid in meiner Spur gegangen, hattet keine Zweifel über deren Richtigkeit. Und selbst wenn widrige Umstände eine Entscheidung erforderte: Damals hatten wir gemeinsam Für und Wider

abgewogen, jeder hat seine Meinung eingebracht, wir haben so entschieden, wie wir es gemeinsam für richtig befanden. Ihr habt mich oft nach Tourentipps gefragt, meinen Rat in Anspruch genommen. Meine Erfahrungen teilte ich gerne mit Euch, immer sorgfältig die Fähigkeiten abwägend. Und jetzt bezeichnet Ihr mich als dumm, unausgesprochen als Verschwörungstheoretiker und Impfgegner.

Als Menschen ihre Ungefährlichkeit beweisen mussten

Im Herbst 2021, zu der Zeit, als die diskriminierendste aller Maßnahmen, die 2G- Regel, beschlossen wurde, habt Ihr euch nicht daran gestört, dass Ungeimpfte vom normalen Leben ausgegrenzt wurden. Es war Euch kein Statement wert. Vielleicht habt Ihr sogar gedacht, dass es gut sei, Druck auf Ungeimpfte auszuüben. Gesagt habt Ihr es zu diesem Zeitpunkt nicht, noch nicht. Ihr fandet es bis heute richtig, dass es Grenzschließungen gab, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Ihr habt akzeptiert, Euch ständig testen zu lassen. Der tiefe Nasenabstrich ist nach wie vor eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, abgesehen davon: Warum müssen Menschen ständig ihre Ungefährlichkeit beweisen? Mit Hilfe eines Tests, der kaum aussagekräftig ist.

Besonders Kinder haben unter den Maßnahmen gelitten, unter Masken, Tests, Distanzunterricht. War Euch das wirklich egal, dass die Wehrlosesten in der Gesellschaft am meisten davon betroffen waren? Die Argumente für diese beinahe unmenschlichen Vorgehensweisen waren immer dieselben: Es sterben Menschen.

Aktuell sterben ebenfalls Menschen. Deutschland (sowie ganz Europa) verzeichnet eine nie dagewesene Übersterblichkeit. Warum verlangt Ihr keine Aufklärung über die Gründe hierfür? Ihr habt harte Einschränkungen von allen gefordert, einen Verzicht auf Grundrechte, um Menschenleben zu retten. Und jetzt wollt Ihr keine Aufklärung? Oder wartet Ihr, bis Euch der Staat eine Erklärung anbietet? Die geburtenschwachen Jahrgänge, der Klimawandel, Stress, vielleicht eine unerkannte Coronainfektion – wäre das für Euch eine plausible Erklärung?

Sprich nicht drüber

Noch vor einigen Wochen habt Ihr eine einrichtungsbezogene Impfpflicht befürwortet. Ihr habt sogar gefordert, dass diese durchgesetzt werden müsse. Wer im Gesundheitswesen arbeite, sei selbst schuld, wenn er seinen Job verliert. Wirklich? Dabei seid Ihr selbst mehrfach geimpft, wohlgemerkt ohne Erfolg. Ihr seid mehr oder weniger an Corona erkrankt, trotz Impfung, trotz Booster, trotz Maske. Und jetzt sollen wir alle wieder zur Normalität übergehen und so tun, als sei nichts gewesen? Wir sollen verzeihen, Nachsicht üben und nicht nachtragend sein? In Euren Augen ist zu lesen: Sprich nicht drüber, alles ist gut. In den Medien und der Politik beginnt eine zaghafte Aufarbeitung. Es kommen immer mehr Dinge ans Licht: gefälschte oder geschönte Zahlen, Korruptionsskandale über Masken und zu viele bestellte Impfdosen. Es geht um Milliardengeschäfte, die der Steuerzahler zu erwirtschaften hat.

Diese Erkenntnisse kommen nicht überraschend. Die Verstrickungen zwischen Politik und der Pharmaindustrie sind seit Jahren bekannt. In den letzten beiden Jahren sind Freundschaften, Ehen und Familien zerbrochen. Sie alle haben eines gemeinsam: Man hätte sich Wissen aneignen können, hat es aber aus vielerlei Gründen unterlassen.

Erkenntnis erschüttert

Politik und Medien haben eine maximale Schuld auf sich geladen, die es aufzuarbeiten gilt. Diese Aufarbeitung muss auch in langjährigen Freundschaften stattfinden, mit einer ehrlichen Diskussion und ein wenig Demut denjenigen gegenüber, die trotz aller Anfeindungen stark geblieben sind. Von alten Freundschaften, welche über Jahre gewachsen sind, erwarte ich noch nicht mal eine Entschuldigung. Wir alle haben Fehler gemacht in dieser Zeit, auch diejenigen, die sich kritisch geäußert und den Mainstreammedien misstraut haben. Vielleicht hätte ich einmal mehr das Gespräch suchen sollen. Aber ich spürte, es ist Euch lästig, es ist anstrengend und überdies überflüssig.

Aber Ihr könntet Fragen stellen, Fragen nach dem Warum unserer Kritik. So manche Erkenntnis wird Euch erschüttern. Ihr werdet Euch vielleicht sogar bestätigt fühlen, bestätigt in einem Unbehagen, welches Ihr vielleicht verspürt habt bei der Diskriminierung von Menschen, die sich dem System widersetzt haben. Dem Unbehagen, das von der nächsten Meldung in den Medien wieder weggewischt wurde, mit Zahlen ohne Bezug, mit Meldungen über eine nebenwirkungsfreie Impfung und mit Reportagen von überfüllten Intensivstationen.

Wissen ist eine Holschuld, das ist die wohl wichtigste Erkenntnis aus der Coronakrise. Wer sich dafür interessierte, konnte Antworten auf viele Fragen finden, man musste nur danach suchen. Nur eine Frage bleibt unbeantwortet: Wie wird die Gesellschaft langfristig mit zerbrochenen Freundschaften, Beziehungen, Ehen und Familien umgehen? Die Antwort darauf werden wir noch suchen müssen.

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