Sachbuch: «Wie wir unfrei werden (2022)»

Reflexionen zum Buch von Gudula Walterskirchen von Caro Heinrich

Lesedauer 5 Minuten
Der Sklavenmarkt von Gustave Boulanger (1824-1888)

„Wie wir unfrei werden – Der Weg zur totalitären Gesellschaft“. Es ist gleich die mit dem Titel des Buches angekündigte Hypothese des „unfrei Werdens“, die den Leser anregt, über den Ausgangspunkt der Betrachtungen von Gudula Walterkirchen nachzudenken. Denn sie wirft vorderhand die grundsätzliche Frage auf: Was ist Freiheit? Wenn wir uns frei vermeinen, wie lässt sich das definieren? Wie können wir ein Frei- oder Unfrei-Sein unterscheiden?

Arthur Schopenhauer hatte in einer Preisschrift 1839 darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Freiheit“ genau betrachtet, ein negativer sei. Denn wir könnten ihn nur „durch die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden“ denken, woraus folge, dass das Wesen des Hemmenden „drei sehr verschiedene Unterarten“ schüfe: „physische, intellektuelle und moralische Freiheit“.

In Erörterung dieser Unterscheidung untersucht Schopenhauer dann die in seinen Augen „populäre Bedeutung“ des Freiheitsbegriffs, die physische Freiheit: „Physische Freiheit ist die Abwesenheit der materiellen Hindernisse jeder Art. Daher sagen wir: freier Himmel, freie Aussicht, freie Luft, (…) frei ist der Vogel, das Wild im Walde; frei ist der Mensch von Natur; nur der Freie ist glücklich.“ Und den Gedanken weiterführend folgert der Philosoph mit kapitaler Stringenz: „Auch einen Wolf nennt man frei, und versteht darunter, dass er allein nach Gesetzen regiert wird, diese Gesetze aber selbst gegeben hat: denn alsdann befolgt er überall nur seinen eigenen Willen. Die politische Freiheit ist demnach der physischen beizuzählen.“

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde

In diesem Begriffsraum bewegt sich die als politische Streitschrift zu bezeichnende Arbeit von Gudula Walterskirchen, deren unausgesprochener Anlass ohne Zweifel die gesellschaftspolitischen Ereignisse seit der offiziellen Verkündung einer „Pandemie“ durch die WHO im März 2020 ist, der – wie Wikipedia drohend unterstreicht – „bisher verheerendsten Pandemie des 21. Jahrhunderts“.

Daneben gilt jedoch auch zu beachten, dass sich Walterskirchen als Historikerin mit kritischen Veröffentlichungen über die Zeit zwischen sogenannter 1. Deutschösterreichischer Republik und austrofaschistischem Ständestaat einen Namen machte. Diese nationalhistorische Perspektive ist dem vorliegenden Buch „Wie wir unfrei werden“ deutlich anzumerken, da sie in ihren geschichtlichen Querbezügen oftmals die spezifischen Fragen und Problemwahrnehmungen Österreichs widerspiegelt.

Der Einstieg der Autorin in ihr Thema verläuft zunächst über die Auseinandersetzung mit den Totalitarismus-Thesen des aus Wien stammenden Philosophen Sir Karl Popper (1902-94) und seinen Arbeiten über „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Walterhausen knüpft daran die Frage, was eigentlich Totalitarismus kennzeichne und wie Formen von Unfreiheit überhaupt möglich werden. Dabei zeigt sie zunächst Invarianten von Herrschaftsausübung wie Angst, moralische und kognitive Desorientierung, Zerstörung innersten Sozialbindungen zu Familie und Freundeskreis bis hin zur Atomisierung der Gesellschaft, bevor sie aktuelle Beispiele und Entwicklungen der letzten Jahre heranzieht, um anhand dessen den fortschreitenden Verlust an Freiheit heute zu dokumentieren.

Dabei übersieht sie im Grunde genommen nichts: von der Einschränkung der Meinungsfreiheit bis zur Verengung des öffentlichen Diskurses, die Aushebelung von Meinungsvielfalt und Medienwettbewerb durch die intransparente Finanzierung spezifischer „Qualitätsmedien“ mit Steuermitteln, die unverhohlene Einflussnahme mittels Millionenspenden an den „Spiegel“ durch fragwürdig „philanthropische“ Stiftungen wie der des Bill Gates, die Beherrschung des Debattenraums durch Kontrolle von Sprache und methodisches Cancelling in den Social Media.

Das Volk in sein Glück zwingen

Walterskirchen verdeutlicht, dass die Unkultur der „Cancel Culture“ nichts anderes darstellt als Zensur. Und sie weiß, wovon sie spricht, da sie selbst inzwischen, durch ihre kritische Position zunächst aus ihren verlegerischen Funktionen entfernt und zuletzt im Frühjahr 2022 ihre regelmäßigen Mitarbeit an der – ironischer Weise „Quergeschrieben“ genannten Kolumne der Wiener Tageszeitung „Die Presse“- aufgekündigt wurde.

Solche Formen von Zensur und Unterdrückung haben sich im Zuge der letzten zwei Jahre so radikal ausgebreitet, das sich gar „Amnesty International“ in ihrem Bericht Oktober 2021 genötigt sah, anzuprangern, dass im Zuge der „Pandemie“ immer mehr Staaten die vermeintliche Gesundheitskrise dazu nutzen um die freie Berichterstattung und Meinungsfreiheit einzuschränken.

Der aus den amerikanischen Universitäten hinüberschwappende Ungeist der Cancel Culture und seine Einengung des wissenschaftlichen Diskurses durch Sprachregelungen, was z.B. zu solch kuriosen Ergebnissen führte, dass Studierende der renommierten Columbia Universität sich dafür einsetzten, dass die Bearbeitung von Ovids „Metamorphosen“ nur mit Trigger-Warnungen gegen sexuelle Gewalt statthaft sei, weil der klassische Text Studenten beleidige oder traumatisiere, veranlasst Walterskirchen auf die unübersehbar wachsende Tendenz zur Unterdrückung der geistigen Freiheit in der Wissenschaft hinzuweisen. Sie dokumentiert kenntnisreich aktuelle Beispiele dieser Entwicklung in Wissenschaft und Kunst und scheut sich auch nicht auf analoge totalitäre Tendenzen der NS-Zeit hinzuweisen.

Totalitäre Sozialordnungen fußen, wie die Autorin anhand Platons „Staat“ darlegt, auf Gesellschaften „in der eine Elite das Volk in sein vorgebliches Glück zwingt“. Wie die Geschichte immer wieder erwiesen hat, neigen gerade Religionen mit ihren Heilsvorstellungen und Versprechen zu solcher Tendenz. Eine aufschlussreiche Darstellung des Zusammenhangs von Totalitarismus und Glauben bot sich Walterskirchen in ihrem Kapitel „Religiöser Fundamentalismus“. Doch hier beschränkt sie sich auf den politischen Islam als freiheitsbedrohende Ideologie. Man könnte geneigt sein dies als kulturelles Relikt der islamischen Bedrohung des Habsburgerreichs durch die großen Türkenkriege mit der eingangs erwähnten, spezifisch österreichischen Betrachtungsweise der Historikerin zu deuten, doch methodisch erscheint die Betrachtungsweise der katholisch konservativen Kreisen zuzuzählenden Publizistin an dieser Stelle als Schwäche.

Totalitäres Musterland China

In den folgenden Kapiteln Funktionalität, Auswirkung und Tarnung totalitärer Systeme kehrt sie zurück zu ihrer mit geschichtlichen Bezügen argumentierenden Darstellung, wenn sie eine Schnur aufspannt zwischen Bedrohungen der Freiheit durch den merkantilen Aufstieg und der daraus resultierenden finanzpolitischen Machteinflussnahme der ersten „Big Players“, den Fuggern, dem Ringen der europäischen Monarchien gegen die Emanzipation des Bürgertums, hin zur Ausbildung der europäischen Nationalstaaten und der Idee des Nationalismus, der in die Katastrophe zweier Weltkriege führte.

Dem Heute sich annähernd erkennt Walterskirchen als größte Bedrohung die wachsende Bedeutung Chinas, das sie nicht unzutreffend als „totalitäres Musterland“ bezeichnet.

Sie prangert das chinesische Menschenbild mit seinem Sozialkredit- und Überwachungssystem „als letztlich nichts anderes als automatisierte Denunziation und (..) Spitzelwesen“ mittels Technologie an, und verweist erhellend auf Schnittstellen zum technoiden Transhumanismus-Menschenbild der totalitären Apologeten der „Vierten industriellen Revolution“ in der globalen Wirtschaftselite wie dem glühenden China-Bewunderer Klaus Schwab oder Richard Edelman, Bill Gates, Elon Musk, Peter Thiel u.a.

Walterskirchen lässt in ihrem Buch wiederholt durchscheinen, dass ihre Schrift den bedrohlichen Tendenzen und Übergriffen des Staates mit seiner „Coronapolitik“ geschuldet sei. Wenn psychologisch diese Ereignisse unzweifelhaft als Massenpsychose zu betrachten seien, dann ermutigt sie zur Orientierung am Werk des niederländisch-amerikanischen Psychoanalytikers Joost Meerlo, der in seiner 1956 erschienenen Schrift „Rape oft the Mind“ konstatierte: „Befindet sich eine Gesellschaft im Anfang einer Massenpsychose, von der sie von der herrschenden Klasse hineingezogen wird, kann diese wieder rückgängig gemacht werden. Dazu braucht es jedoch viele Menschen, die einen Gegenangriff starten.“

Zukunftsangst und Passivität

Das Buch endet mit weltpolitischen Betrachtungen darüber wie Freiheit erhalten oder errungen werden könne, jedoch erscheinen der Rezensentin die Voraussetzungen vor allem im deutschsprachigen Kulturraum nicht verheißungsvoll. Der „Generation Y“, d.h. den ab den 1980er-Jahren bis zur Jahrtausendwende Geborenen, attestiert die Sozialforschung im Bereich der Hochausgebildeten, neben geringem politischen Interesse kaum Intentionen an der Verwirklichung neuer Gesellschaftsordnungen, sondern vor allem ein signifikantes Bedürfnis nach Sicherheit. Das ausgeprägte Sicherheitsdenken dieser im Allgemeinen wirtschaftlich standfesten Bevölkerungskohorte korreliere jedoch zugleich mit einer statistisch belegbaren, erhöhten Neigung zu Zukunftsangst, Depression und reduzierter Stress-Resilienz.

Mag man kritisch einwenden, dass solche Klassifizierungen mit einer gewissen Neigung zu simplifizierenden Klischees behaftet sind, so fiel in den vergangenen zwei Jahren doch auf, dass gerade diese Altersgruppe nicht opponierte, sondern vorzugsweise die exzessiven Bedrohungsszenarien der großen Pandemie larmoyant verinnerlichte.

Wer die Willfährigkeit – mithin der Bildungsschicht dieser Generation in Deutschland – in Befolgung oft absonderlichster Verordnungen ihrem Mangel an Lebenserfahrung zuschreibt, muss jedoch verblüfft sein, mit welch stupender Passivität diese Generation die bürgerlichen Grundrechte ohne Zaudern preiszugeben bereit war.

Andererseits: In ihrer Melange von Ergebenheit und Lebensangst offenbarte nicht nur diese Alterskohorte neben ihrem notorischen Starren auf das Apokalyptische einen naiv-lethargischen Glauben in die politische Klasse dieser von ihr vornehmlich als kommod rezipierten Gesellschaft.

Aber freie und offene Gesellschaften sind fragile und transitorische Konstrukte, die zu allen Zeiten aktiv den Mächtigen abgerungen werden mussten. Geschenkt wurden sie keiner Generation.

< Wie wir unfrei werden – Der Weg zur totalitären Gesellschaft> von Gudula Walterskirchen, 236 Seiten, gebundene Ausgabe, Seifert Verlag, Wien 2022

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