ein Gastbeitrag von Volker Dowidat
Lesedauer 4 MinutenPolitik gestaltet unser Gemeinwesen und eröffnet Räume zur Entfaltung der vielschichtigen Potentiale unserer Gesellschaft. Das Ziel ist unser aller Wohlergehen. Juhu! Das macht Politik natürlich nicht in Eigenregie, als paternalistische, autokratische Führung, sondern auf Basis einer Demokratie, die sich nicht nur durch simple Mehrheiten auszeichnet, sondern auch durch das faire Aushandeln unterschiedlicher Interessen. Die Macht des Staates hat also einen Regelkreis, der nicht nur aus Gewaltenteilung, sondern auch aus Mitbestimmung, Teilhabe, Dialog und einem vielfältigen Fundus der christlichen Ethik besteht. Das klingt gut. Ein System, das Vertrauen schafft. Doch seit einiger Zeit wird es offensichtlich als ganz schön mühselig empfunden.
Mit dem Vertrauen ist das nämlich so eine Sache. Es wird geschenkt und kann leicht verloren gehen. Es ist ein volatiles Gut und lässt sich schlecht einfordern. Vertrauen erfordert Interaktion, aufeinander zugehen und sich in die Karten schauen lassen und es gibt keine Erfolgsgarantie. Das ist für Politiker zu fragil geworden in Zeiten, in denen schnelle Entscheidung und robuste Attitüden gefragt sind. Das bilaterale Konzept des Vertrauens ist zu langsam in einer schnelllebigen Zeit, die bereitwillig alles den Mechanismen des Marktes unterwirft, der es dann auf- oder abwertet und entsprechend mit einem Preisschild versieht. Apropos: Wie macht das eigentlich der Markt, der ja auch von der Zustimmung der Massen abhängig ist? Muss der kein Vertrauen aufbauen?
Um Vertrauen werben?
Der Markt hat sich da eine schöne Schnittstelle zwischen den Marktteilnehmern geschaffen, das Marketing – schön derart, dass Erfolg planbar wird, also systematisch und ergebnisorientiert. Der Urvater des modernen Marketing, Hans Domitzlaff hat schon in den 1930ern von der „Gewinnung des öffentlichen Vertrauens“ gesprochen; eine sympathische Umschreibung der Umwerbung der Massen, die sich eigentlich auch an Politiker adressieren ließe. Warum also sollten Politiker nicht vom Marketing lernen? Ups, die Politik hat bereits vom Marketing gelernt. Leider. Denn Marketing hat auch toxische Seiten, die mit Demokratie wenig zu tun haben. Folgender Satz, der das Problem verdeutlicht, steht auch im Standardwerk von Domitzlaff: „Das Ziel der Markentechnik ist die Sicherung einer Monopolstellung in der Psyche der Verbraucher“. Da ist also der Haken, ein Absolutheitsanspruch. Nichts von Dialog, Mitbestimmung, Potentialentfaltung oder so, auch wenn modernes Dialogmarketing, die Trends des „Loslassens der Marke“ durch Mitmach-Aktionen und User-Centered Design usw. das alles versprechen – es findet nur in kontrollierten Umgebungen statt. Es gibt keine offenen Fragestellungen an die Zielgruppe, nur Multiple Choice. Es ist nicht demokratisch. Einflussnahme durch die Zielgruppe, das lassen die Shareholder nicht wirklich zu. Der bezahlte Influencer wird die Markenbotschaft schon rüberbringen, das reicht.
Manipulation durch den digitalen Zwilling
Wer sich die nach Domitzlaff nachfolgenden 90 Jahre der Entwicklung des Marketing anschaut, sieht denn auch mehr Manipulation als Umwerbung, bis hin zum Neuroscience basierten Marketing, das den Menschen als Newton’sche Mechanik 2.0 beschreibt: Input, Prozess, Output. Alles nur eine Sache der Datenerfassung, -analyse und -modellierung. Es gipfelt im Predictive Marketing, der Vorhersagbarkeit von Handlungen. „Sie wissen, was Ihr Kunde kauft, bevor er es weiß!“, so wirbt Adobe für sein Predictive Analytics in Unternehmen. Big Data und Künstliche Intelligenz schieben den selbstbestimmten Menschen zur Seite und setzen seinen kalkulierbaren digitalen Zwilling an seine Stelle. Eigentlich wird dieser Begriff nur für Objekte benutzt, aber ist die Objektifizierung der Menschen nicht schon längst ein trauriger Tatbestand geworden? „Der Mensch ist als Träger seiner Entscheidungen abgelöst“, schrieb Frank Schirrmacher vor zehn Jahren und wurde in damaligen Kritiken nicht von allen verstanden. Heute gründen darauf erfolgreiche Geschäftsmodelle.
Aber kann denn künstliche Intelligenz Manipulation sein? Nun ja, wer entscheidet eigentlich, was wir dem Algorithmus überlassen und mit welchen Interessen? Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass KI ergebnisoffen arbeitet? Alexa wird nie gegen Amazon rebellieren. Warum wohl? Die Frage ist scheinbar so akut, dass zur Bundestagswahl 2021 die Plattform Lernende Systeme in Kooperation mit der Wissenschaftspressekonferenz über Chancen und Herausforderungen von KI bei Wahlen debattierte. Das nächste große Ding? Sie brauchen eines Tages nicht mehr wählen gehen, weil die Summe Ihrer Daten schon alles aussagt. Das geht viel schneller, als wenn Politiker mit Menschen reden und um Vertrauen werben müssen. Wie verlockend für Politiker, das Erfolgsrezept der globalen Märkte einfach zu übernehmen. Die einen akkumulieren Geld damit, die anderen Macht.
Wähler als Datenstrom
Allerdings: Was in der Wirtschaft noch halbwegs verständlich wäre – denn Unternehmen müssen am Ende ihre Zahlen rechtfertigen und den Shareholdern Sicherheit durch Planbarkeit vermitteln – das ist in der Politik mehr als fragwürdig. Wenn der Yoghurt-Hersteller seine Zielgruppe objektifiziert … so what, es gibt Schlimmeres. Wenn Politiker die Bürger objektifizieren, wird es gefährlich. Das wird an einem Phänomen der letzten zwei Jahre deutlich: Die in der Nachkriegsgeschichte einmalige Diskreditierung von Bürgern, die sich kritisch zu Verordnungen äußern („ausgrenzen aus der Gesellschaft“, „hart bestrafen“, „Existenz vernichten“ usw.) kam in allen Spielarten aus Politikermündern. So etwas geht nur, wenn die Gesellschaft von der Regierung als abstrakter Datenstrom gesehen wird, bei dem unliebsame Interferenzen weggefiltert werden können. Die menschliche Ebene wurde verlassen, marktkonform eben.
Christliches Abendland, gilt das noch? Reminder: In dem neutestamentlichen Brief an die Christen aus Thessaloniki gibt Paulus eine Empfehlung, wie mit neuem Gedankengut umzugehen sei: „Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Das war noch nicht Marketing, sondern eine würdevolle Beziehung zwischen Menschen.
Immer neue Kundschaft
Ob die Politik den würdevollen Dialog mit den Bürgern jemals wieder aufnimmt, ist ein nettes Gedankenspiel. Wichtig ist, dass wir die kaum noch sichtbaren Methoden der Manipulation wiedererkennen und benennen. Noch mal Schirrmacher: „In der Krise (Anm.: Finanzkrise) wurde offensichtlich, dass die Politik so agierte, wie es die Spieltheoretiker des Kalten Krieges vorgemacht hatten: Sie kommunizierten über Spielzüge, nicht über Argumente. Und Spielzüge können Bestrafungen sein, Belohnungen, scheinbare Selbstopfer, Rückzüge oder Offensiven.“
Blicken wir zurück in die Geschichte, sehen wir mit Leichtigkeit politische Manipulation als ein offenkundiges Indiz dafür, dass man es mit Despoten zu tun hat. In der Rückschau sind die Fronten klarer und der ehemals schöne Schein der Täuschung verblasst. In unserer Gegenwart gilt die heile Welt des manipulativen Marketings als Best Practice. Manipulation ist smart geworden, deswegen kann das Pentagon auch 27.000 PR-Mitarbeiter weltweit beschäftigen (laut Tom Curley, CEO von Associated Press), ohne dass es jemandem komisch vorkommt. Politiker sind schlau geworden, sie halten Ausschau nach harmlos aussehenden Methoden der Manipulation und warten zu, bis sich ein Prinzip etabliert hat, um es dann anzuwenden.
Gerade lese ich in den News: „Wolodymyr Selenskyj: der wirkmächtigste Influencer der Welt“. Sicher gibt es bald Analysen dazu, wie kommunikative Reichweite, Machtzuwachs und geopferte Menschenleben zusammenhängen. Gute Zeiten für die Medien, denn hier wächst eine neue Kundschaft heran, deren Politikmarketing jede Menge Werbeplätze braucht.