von Titus von Groote
Lesedauer 6 MinutenWir waren zu Knusebecks eingeladen. Anna hatte keine Lust gehabt.
„Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich beherrschen kann…“
„Anna, bitte!“, unterbrach ich sie, „lass gut sein – , sie meinen es doch nett und Gesche gibt sich Mühe…“
„Phhh, darum geht es nicht. Ich weiß schon, dass sie sich müht, aber mir bleibt das Essen im Hals stecken, wenn ich daran denke, wie sie…“
„Anna!, ich hab’ es auch nicht vergessen, – schlimmer fand ich, dass er dazu geschwiegen hat. Damals habe ich noch nicht begriffen, dass er auch schon so unterwegs war. Das ist mir erst gedämmert, als er mit tragischer Miene – das war irgendwann im Mai bei einem Kundentermin in Dortmund – von seinen Nachbarn in Flerke, Du weißt schon, diesen komischen Schorks und deren Sechszehnjährigem erzählte. Titus, raunte er, sich geradezu duckend, … der Bub’ hat jetzt Schatten auf der Lunge!“.
„Hast Du vergessen, wie militant sie das rausgehauen hat? Dieses – Aber wir sind die Mehrheit! Und dann noch am Schluss ihr lapidares, – dann müssen wir eben für immer Masken tragen! Titus, ich kann das nicht vergessen, das ist…“
„Lass stecken. Du hast gesagt, dass Du von Mandy auch nie eine Entschuldigung gehört hast…. und du hast mir immer gesagt, dass sie sogar bereit gewesen wäre Dich niederzuschießen…..“
„Mandy war damals achtzehn und linientreu, ja ja, Du weißt doch wie wir bei ihr waren, sie hat das einfach völlig verdrängt… aber Gesche ist fünfzig und sollte klüger sein.“
„Komm“, sagte ich, und suchte weiter ihre Autopapiere.
„Ich hab sie hundert Prozent rausgelegt“, beteuerte sie, „ich weiß es ganz genau, sie lagen da oben im zweiten Fach.“
„Aber da sind sie nicht. Hast Du in deiner gelben Tasche da unten geschaut?“
„Ich weiß doch, wo ich meine Papiere hingelegt habe“, erwiderte sie verbissen, während ihr aus dem Wandschrank die ganzen Papiertaschentücher entgegenfielen.
„Komm, wir fahren ohne die blöden Papiere.“
„Ich fahr nicht ohne Papiere“, versetzte sie unnachgiebig, „Ich hab’ eh keine Lust auf diese ganzen Leute….“
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„Wir können sowieso nicht draußen essen, schau Dir doch den Himmel an“, meuterte Anna, während sie das Handschuhfach durchwühlt, „und fahr nicht so schnell, ich hab es nicht eilig da rumzustehen.“
„Jööö, du Amsel“, entfuhr es mir, als ich an dem Kia Sportage, hinter dessen Lenkrad eine knollige Endvierzigerin klemmte, endlich vorüberzog.
„Ich weiß gar nicht, mit wem ich mich unterhalten soll. Gesche wird wieder dauernd in der Küche stehen und Eckhart redet sowieso nur vom Geld.“
„Schimmerleins kommen, Dr. Amberger mit seiner Ukrainerin, dieser Prof. Oetge, seine Frau war doch ganz nett und Frau Meise…“
„Die hat mir gefehlt, diese kranke Frau! Die hat doch sogar noch von dem Gauck das Bundesverdienstkreuz bekommen, – dafür dass sie in Sankt Margareten die Alten besonders malträtiert hat. Ich werd’ mich nicht beherrschen!“, fauchte Anna drohend.
„Wölkchen, Du kannst mit der Ukrainerin doch über den Krieg reden“, neckte ich meine Alltagsheldin.
„Das tu ich mir nicht an. Außerdem macht mich ihre Figur fertig. Ich hab mir die letzten beiden Wochen in Annaberg alles verkniffen und gestern hatte ich auf der Waage 200g mehr…“
„Mein Gott, Wölkchen, die Frau ist Anfang dreißig…“
„Was die an dem abgelederten Amberger findet? Das ist doch ein Pudding.“
„No ja, er hat Geld.“
„Ekelhaft. – Schau, da hinten wetterleuchtet es schon…..“
„Moment, hier müssen wir abbiegen… ich verfahr mich jedes Mal in diesem Nest, da geht’s in den Sappho-Weg.“
„Wer kam eigentlich darauf die Straßen hier im Neubaugebiet nach antiken Dichterinnen zu benennen?“, fragte Anna stirnrunzelnd.
„Keine Ahnung. Eckhart hatte gesagt, dass der Bürgermeister mit einer Griechin verheiratet ist….. Da sind wir. Schau mal, da stehen sie alle im Hof. Ich hol Dir die Blumen aus dem Kofferraum.“
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Es war drückend schwül.
Die Gesellschaft stand auf dem steingedeckten Vorbereich des Hauses. Blaugelbe Standfackeln staken in den geranienbepflanzten voluminösen Waschbetontrögen. Unter den durch die aufkommenden Böen bedrohlich schaukelnden Lampions waren helle Stehtische, drapiert mit Sektgläsern und Bierflöten, aufgereiht.
Eckhart mühte sich an einem Sektkorken ab, während uns Irene Schimmerlein mit einem verlegen anmutenden, „Hallo, sieht man Euch auch mal wieder“, begrüßte.
Helmut Soergel, ein hochgewachsener Mitfünfziger, der in Lüdenscheid arbeitete, begrüßte mich kameradschaftlich mit Fistbump, dem Glaubensgruß der Coronisten. Seine Frau Friederike nickte nur distanziert und wippte dabei ein wenig mit ihrer um den Ellenbogen gespannten FFP2-Maske.
Anna suchte nach einem Ort für die mitgebrachten Blumen.
„Steck sie doch in die Geranien“, scherzte ich, doch Eckhart hatte sich schon Annas angenommen.
Der Himmel grollte dunkel.
Prof. Oetge rief, „Eckhart, wo bleibt Gesche? Alt werden wir heut draußen nicht werden, der Wetterbericht hat es prophezeit.“
„Ja Heinz, sie räumt mit Melanie und Julia drinnen schon alles um. Erst haben wir die ganzen Sachen rausgetragen und jetzt…“
Krachend schlugen die Fenster im Obergeschoss von einer Böe.
„Melanie, macht doch die Fenster zu, sonst fliegt mir die Dreifachverglasung aus den Rahmen“, schimpfte Eckhart.
„Mama hat gesagt, wir sollen wenigstens kippen“, erwiderte die am Fenster der Veranda erscheinende brünette Melanie, „wegen der Luftzirkulation.“
„Wir könnten doch im Schopf feiern“, schlug Prof. Oetge vor.
„Der ist voll mit Europaletten“, verneinte Eckhart.
„Hast Du wieder Ware abgezweigt“, feixte Justus Schimmerlein.
„Gewiss“, sagte Eckhart, „ich verticker das Zeug bei Amazon.“
Die Sonne stach.
Im Westen quollen die Gewitterbänke rasch in die Höhe.
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Die Gastgeberin erschien an der Terrassentür, ihr Gesicht war gerötet und feiner Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie stellte einen Stapel Suppenschalen auf die Anrichte neben dem Buffettisch.
„Hallo, meine Lieben, verzeiht“, rief sie, „ich bin etwas im Stress. Ecki, trag mir bitte die große Terrine runter, Julia bringt Servietten und Löffel. „Die solltet ihr“, sagte sie zu den Gästen gewandt, „gleich in die Hand nehmen, denn bei dem Wind fliegen die sonst nur im ganzen Garten rum.“
„Oh ja“, jubelte der plötzlich auflebende Amberger, „ich liebe Suppen. Stimmt’s, Ivana?!?“, und er schubste seine ukrainische Schönheit unfein.
Ivana nickte, ihr üppiges Dekolletee wogte.
„Suppe? Zum heiß machen?“, lispelte eifersüchtig Anna und kniff mich boshaft in den Oberarm.
„Vielleicht Kaltschale, Hexe“, brummte ich.
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Eckhard erschien mit einer mächtigen Terrine, gefolgt von seinen Töchtern, die den Gästen Suppenschalen reichten. Er hob den Deckel und schöpfte die dickflüssige, dampfende Suppe in Gesine Meises Schale.
„Komm auch her, Friederike“, sagte er zu Soergels Frau gewandt.
Amberger streckte gierig seine Schale entgegen, doch Gesche bremste ihn aufmerksam: „Ivana, komm, erst Du!“
„Oh danke, ich habe wenig Appetit.“
„Nichts da, in Deutschland muss man Suppe essen“, belehrte Gesche halb scherzhaft halb mit erhobener Kelle drohend, „sonst kommst Du mir nicht ins Haus!“
Ergeben nahm alle ihre Schale und Gesche dozierte: „Heiß muss sie sein, gerade an solchen Tagen. Das ist sehr gesund für den Körperwasserhaushalt und wirkt auf die Schleimhäute antiviral.“
„Köstlich, Gesche – wie machst Du das nur immer? Ivana, Du musst Dir das Rezept bei Gesche holen“, balzte Amberger, um Nachschlag bittend.
„Oh, das ist ein großes Geheimnis“, zwinkerte Gesche. „Habt ihr eure Schalen auch schön sauber gemacht…..damit das Wetter morgen gut wird.“, insistierte sie.
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Der Wind heulte. Die Baumkronen an den flachen Bergzügen neigten sich im aufkommenden Unwetter und die Luft roch nach Heu. Ein Windstoß warf eine der schon lang verloschenen Standfackeln um und Irene Schimmerlein meinte, dass man vielleicht nun doch reingehen sollte.
Gesche schaute auf ihre schmale Armbanduhr, dann zu Eckhart und beschwichtigte, „Ach, es ist doch hier noch viel angenehmer als Drinnen, wartet doch noch ein wenig, aber ich geh schon mal rein und bereite alles vor.“ Sie eilte hinein, die Terrassentür hinter sich schließend.
Ein Blitz zuckte und Anna zog sich erschrocken an mich.
Amberger fing laut zu zählen an bis der Donnergroll zu hören war. „Mindestens 3,4 km entfernt“, taxierte er fachmännisch.
„Naja, das haben sie uns als Kinder so erzählt, aber es sagt ziemlich wenig darüber aus, ob in der aufgeladenen Atmosphäre nicht der nächste Blitz direkt hier einschlägt“, warf Helmut Soergel unheilschwanger ein.
Es fielen die ersten dicken Regentropfen. Am Horizont zuckten mehrere Blitze als krachend einer in unmittelbarer Nähe einschlug.
„Heinz“, stammelte die erbleichte Hilde Oetge, „sollten wir nicht besser im Auto abwarten, wenn Gesche noch braucht?“
Das Unwetter gewann von Sekunde zu Sekunde, schon peitschten die ersten Regensalven über den Hof. Die Gesellschaft drängte schutzsuchend zur Terrassentür.
„Eckhart“, rief Soergel laut, „sag doch Gesche, sie soll uns reinkommen lassen, das mit der Zeitangabe muss man nicht ganz so genau nehmen!“
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In diesem Moment öffnete Gesche die Terrassentür.
„Kommt schnell, jetzt könnt ihr sorglos reinkommen. Eckhart, ich habe die Fenster alle verkeilt, damit sie nicht zuschlagen können und so haben wir immer eine gute Querlüftung.“
Ivana, deren Makeup zu leiden drohte, drängte robust ins Wohnzimmer und zog ihren Mann hinter sich her.
Prof. Oetge tupfte den Rücken von Hilde, seiner Frau, trocken und fragte zu Soergel gewandt: „Was für eine Zeitangabe? Bereitet Gesche noch etwas vor?“
„Nein, nein“, erwiderte Helmut Soergel, „das ging nur um die Suppe. Die hat laut unserem Firmenwaschzettel einen Wirkungseintritt von mindestens fünfzehn Minuten“.
„Die Suppe?“, warf Ivana konsterniert ein.
„Ja, verratet mich um Gottes Willen nicht“, tuschelte Soergel, „das war unser neuer Renner, die Immunsuppe“.
„Immunsuppe?“, lachte Anna.
„Das ist kein Scherz“, erwiderte Soergel beleidigt, „unsere Suppe senkt das Infektionsgeschehen nachweislich um 80% in Innenräumen. Gerade bei vulnerablen Zielgruppen kann unser patentierter B6-B12-Komplex direkt den RNA-Strang des Spikeproteins stabilisieren. Das ist praktisch ein absolut neuartiger Suppenbooster.“
„Ach“, stammelte Justus Schimmerlein.
„Du hast es doch verraten“, rief Gesche, die sich unbemerkt dazugesellt hatte. „Ja, ich gestehe, ich habe euch heut’ eine Tütensuppe kredenzt, ich wäre nie auf die Idee gekommen, wenn Helmut uns nicht versichert hätte, dass wir mit der Immunsuppe auch Drinnen feiern können. Sonst wäre mir das Risiko ohne Maske viel zu hoch gewesen.“
„Das ist unglaublich solidarisch von Dir, Gesche“, nickte Gesine Meise verständig.
„Sie ist im Herbst täglich zu empfehlen“, warb Soergel, “laut einer Studie schützt sie nachhaltig vor viralen Infektionen. Das ist ein völlig neues Marktsegment für uns. Wir arbeiten da beratend mit dem Bundesgesundheitsministerium zusammen.“
„Du veräppelst uns und die glauben Dir das. Ich lach mich krank, – Immunsuppe“, quiekte Ivana.
„Das kannst Du Dir vielleicht nicht vorstellen, Schwurblerin“, entgleiste Helmut Soergel.
„Wir entwickeln da eine ganze Reihe von Produkten gegen die Kollateralschäden dieser Pandemie! Mit führenden Laboren und Experten. LongCovid-Flan, Traumabrei, Psychogratin, Neurosenauflauf und vieles andere.“
„Mir reicht unsere Beziehungssuppe“, flüsterte mit unschuldigem Blick Anna mir zu.