ein Beitrag von Andreas Hansel
Lesedauer 3 MinutenIch saß an unserem Esstisch und schaute aus etwa drei Meter Entfernung auf unser glänzend schwarzes Klavier. Die Klappe, die die Klaviatur vor Staub schützt, war geöffnet, die Tasten allesamt gut zu sehen. 88 an der Zahl, gegliedert in gleichartige Blöcke. Sieben von Ihnen sehen gleich aus und bestehen aus 12 Tasten. Am linken Rand befinden sich 3 Tasten, eine weitere am rechten Rand.
Von weitem erscheint die Klaviatur in strahlendem Weiß. Die weißen Tasten dominieren das Bild. Sie sind deutlich größer als die schwarzen Tasten und befinden sich in der vorderen Reihe. Es gibt auch schwarze Tasten. Sie befinden sich im hinteren Bereich der Klaviatur. Sie sind deutlich schmaler und kürzer, lugen aber etwas in der Höhe hervor, so als ob sie über die weißen Tasten hinweg schauen möchten.
Die schwarzen Tasten sind in der Minderheit. Sechsunddreißig an der Zahl sind es. Von den weißen gibt es 52. Die schwarzen Tasten haben niemals eine schwarze Nachbartaste, sie sind immer von weißen umgeben, während einige der weißen Tasten eine weiße Nachbartaste haben. Die Töne, die von den schwarzen Tasten hervorgebracht werden, wurden vor langer Zeit als Halbtöne bezeichnet. Die weißen Tasten hingegen brachten die Ganztöne hervor.
Halbtöne – schwingt in diesem Wort nicht so etwas wie Unvollkommenheit oder Unfertigkeit mit? Klingt das nicht alles irgendwie befremdlich? Werden die schwarzen Tasten etwa diskriminiert? Es scheint tatsächlich so zu sein, denn es gibt noch weitere Anzeichen dafür.
Werden Musikstücke auf Notenpapier geschrieben, werden die Töne, die von den schwarzen Tasten erzeugt werden – meistens, je nach Tonart – mit einem Vorzeichen gekennzeichnet. Zum einen ist das eine Art Ballast, den sie mit sich herumtragen müssen, zum anderen deutet es auch auf eine mögliche Stigmatisierung hin.
Darüber hinaus haben die schwarzen Tasten keine eindeutigen Namen. Während die erste weiße Taste auf der linken Seite des oben beschrieben Zwölferblocks immer den Namen „C“ führt und damit, wie alle weißen Tasten, einen eindeutigen Namen hat, verhält es sich bei der zweiten Taste, der ersten schwarzen im Zwölferblock, völlig anders. Je nach Tonart kann diese Taste entweder als „Cis“ oder als „Des“ bezeichnet werden. Und – als wäre das noch nicht alles – werden sie in Abhängigkeit ihres Namens mit unterschiedlichen Zeichen stigmatisiert. So muss das „Cis“ ein Kreuz mit sich führen, während es als „Des“ mit einem kleinen B stigmatisiert wird. Das gilt für alle schwarzen Tasten. Werden die schwarzen Tasten bewusst ausgegrenzt?
Beim Notieren von Musik auf Notenpapier fällt weiterhin auf, dass für die Töne der schwarzen Tasten gar keine eigenen Plätze im Notensystem vorgesehen sind. Während die Noten der weißen Tasten eindeutige, fest zugewiesene Plätze auf den Linien oder in den Zwischenräumen des Notensystems haben, sind die schwarzen Tasten gezwungen, diese Plätze mitzubenutzen und sich durch ihr Vorzeichen kenntlich zu machen.
Woher kommt diese Diskriminierung? Wer ist dafür verantwortlich?
Ist das Instrument eventuell rechtsoffen? Immerhin fehlen am rechten Rand scheinbar einige Tasten. Ist das Klavier gar ein Nazi-Instrument? Es hat doch 88 Tasten und 88 ist doch der Code für – Sie wissen schon.
Bitte seien Sie vorsichtig, wenn Sie das nächste Mal Klavier spielen, nicht dass sie in die rechte Ecke gerückt werden. Vermeiden Sie am besten Tonarten wie C-Dur und A-Moll, spielen Sie lieber Des-Dur, dann kann Ihnen niemand nachsagen, sie hätten die schwarzen Tasten benachteiligt.
Was können wir dagegen tun? Sollten wir zumindest die Volksmusik verbieten oder gar alle Stücke in C-Dur, in denen nur alte weiße Tasten gespielt werden? Brauchen wir ein globales Black-Keys-Matter-Movement?