Weihnachten unter Acryl

Gedanken von Johannes Kirnberger

Lesedauer 3 Minuten
1bis19 - Weihnachten unter Acryl
© Adam Elsheimer (Alte_Pinakothek)

Ein kalter Wind fegt durch die Straßen, nur wenige Menschen sind in den Gassen zu sehen, verstohlen um sich blickend, Maske tragend. Ein neuer Lockdown steht bevor. Noch schnell ein wenig einkaufen, Geschenke, Zutaten für die Weihnachtsbäckerei, Tests und Masken. Kein Glühweinstand in der Fußgängerzone, kein Weihnachtsmarkt, keine Kulturveranstaltungen in der besinnlichen Zeit.
Stattdessen prangt in großen Lettern überall die Aufschrift 2G. Daneben im Matsch auf dem Boden ein abgerissenes Schild mit 3G. Wie lange ist es her, dass dieses Kürzel noch aktuell war? Zwei Wochen oder drei? Oder Monate. Es sind kalte Buchstaben als Ausdruck einer bisher nicht gekannten Kälte in der Gesellschaft. Sie sind ein Ausdruck von Diskriminierung und Ausgrenzung, ein Sinnbild für den tiefen Spalt zwischen den Menschen.
Auf den Zeitungständern liegen die neuesten Ausgaben der etablierten Tageszeitungen, die Titelseiten überbieten sich mit reißerischen Sätzen, wenig aussagekräftig aber einprägsam und manipulativ. Auf den großen Plakatwänden sind Menschen zu sehen, welche ihre Arme hochkrempeln. Daneben steht: Lassen Sie sich impfen. Die überwiegend leicht bekleideten Personen wirken dennoch fremd und unwirklich in der Kälte des Dezemberabends, wie ein unpassender Werbespot für ein längst abgelaufenes Produkt.

Daneben in einer Seitenstraße ist eine größere Menschenansammlung zu sehen. Manche tragen ein Schild mit sich herum. Die darauf zu lesenden Botschaften sind eindeutig. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ oder „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Ein Sprecher hält eine Rede über Grundrechte.
Manche der vorbeihuschenden Passanten drücken sich schnell an der Gruppe vorbei, so als sei es eine Gesellschaftsschicht, mit der niemand etwas zu tun haben möchte. Andere bleiben abseits stehen, wirken interessiert aber dennoch zurückhaltend. Mütze und Schal verdecken die Gesichter, man will nicht erkannt werden in der Nähe einer Versammlung, welche sich für den Erhalt der Grundrechte einsetzt.

Was ist wesentlich?

Wie werden wir heuer Weihnachten feiern? Im Kreis unserer Liebsten? Im Kreis nur mit Gleichgesinnten? Werden wir vorher jeden Gast zu einem Test veranlassen? Werden wir mit Acrylscheiben zwischen Menschen unser Weihnachtsessen genießen? Werden wir das Fest der Liebe zu einem zwanghaften Treffen von Familienmitgliedern unterschiedlicher Meinungen mutieren lassen? Werden wir Kontakt aufnehmen zu unseren Freunden und Verwandten oder isoliert mit einigen wenigen über „die Anderen“ sprechen, so wie wir das seit Monaten tun?

Der Wind hier in der Stadt gibt uns ebenso wenig Antwort auf die drängenden Fragen wie die Politik, welche mit martialischer Sprache an unsere Solidarität appelliert. Im Gegenteil, der Appell wirft neue Fragen auf: Solidarität gegenüber wem? Den „Geimpften“, „Ungeimpften“. oder gar der Pharmaindustrie?

Weihnachten, das Fest der Liebe als Prüfstein für die Gesellschaft? Vielleicht.
Wäre es nicht möglich, einander die Hand zu reichen, zum Telefon zu greifen und eine Nummer zu wählen? Wie schön wäre es, an Heiligabend rund um eine Feuerschale zu stehen, zusammen mit Freunden und Familienmitgliedern. Im Schein eines knisternden Feuers eine Annäherung zu versuchen, ohne Maske und Acrylscheiben. Ein gemeinsamer Spaziergang zuvor könnte Brücken bauen. Gleichzeitig ist eine Rückbesinnung möglich, eine Reduzierung auf die Dinge, die wichtig sind. Nehmen wir auf unser besonderes Weihnachtsfest nur das mit, was wir tragen können, ein kleines Präsent der Wertschätzung für die Menschen, welche uns wichtig sind.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, schrieb Antoine de Saint Exúpery.
Das Wesentliche sind nicht die Schlagzeilen in den Medien, die gefühlsentleerten Worte der Politiker, die Entscheidung jedes Einzelnen, wie er Gesundheitsschutz und Freiheit zusammenbringt. Das Wesentliche ist der Dialog miteinander.
Machen wir einen Anfang, das Fest der Liebe ist ein guter Anlass hierfür.

Teilen