Von offener Kölner Art: Corona-Aufarbeitung im Integrationsrat

eine Rede von Alparslan Babaoglu

Lesedauer 3 Minuten
Besser Unrääch ligge wie Unräch dun. [tradit. Kölner Redwendung]

Auf der Tagesordnung des Kölner Integrationsrates stand am 28. Februar 2023 mein Antrag auf folgenden Beschluss: 

Der Integrationsrat lädt in einer Presseerklärung alle gesellschaftlich relevanten Stellen, wie die Stadtverwaltung, Medien, Vereine dazu ein, eine Kommunikationsplattform einzurichten, wo die Bürger, die in den letzten Jahren durch die Corona-Schutz-Maßnahmen, insbesondere durch die 2G-Regel benachteiligt wurden, über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen können. Das soll zur Aufarbeitung und zur Überwindung der in der Krise entstandenen gesellschaftlichen Spaltung dienen.

Begründung

Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn sagte im Jahr 2020: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, damit anzufangen, denn die heiße Phase der Krise scheint überwunden zu sein und wir haben genug Erkenntnisse und Daten gesammelt. 

Laut Robert-Koch-Institut wird die Anzahl der nicht geimpften Bürger in Köln auf 17,22 % geschätzt. Das macht weit über 100.000 Bürgerinnen und Bürger aus. Sie wurden durch die 2G-Regeln aus dem sozialen Leben ausgeschlossen, was zu einer massiven Spaltung der Gesellschaft führte. Die Betroffenen durften kein Restaurant, Kino oder Theater besuchen. Sie mussten den Weihnachtsmärkten fernbleiben und konnten dort keine Geschenke für ihre Verwandten, Bekannten und Kinder kaufen. Sogar Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren war es verboten, in einer Bibliothek ein Buch auszuleihen.

Der Gipfel dieser massiven Grundrechtseinschränkung war, dass es den Ungeimpften verboten wurde, den Karneval mitzufeiern. In der Zeit des Straßenkarnevals war das gesamte Stadtgebiet zur „Brauchtumszone“ erklärt worden, wo sich nur noch Geimpfte oder Genesene aufhalten durften. Für eine Stadt, die eigentlich für ihre offene Art berühmt ist und die mit Inbrunst „trinkt doch eine mit“ singt, war das eine sehr harte Vorgehensweise. Denn die Ungeimpften durften selbst dann nicht mitfeiern, wenn sie einen negativen Corona-Test hätten nachweisen können.

In dem vom Infektionsschutzgesetz geforderten Evaluationsbericht der Bundesregierung haben die Experten festgestellt, dass die 2G-Regeln keine nachweisbare Wirkung auf das Pandemiegeschehen hatten. Laut Bericht liegt eine NNE (Number needed to exclude) von 1000 vor. Das bedeutet, dass man mindestens 1000 ungeimpfte Bürger aus dem gesellschaftlichen Leben ausgrenzen muss, um eine einzige Infektion (nicht: Hospitalisierung oder tödliche Infektion) zu vermeiden. 

Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagt heute, dass die Maskenpflicht im Freien sinnlos war, aber sie galt in Köln lange Zeit. Lauterbach gibt außerdem zu, dass man die Kitas nicht hätte schließen müssen. Sicherlich war es auch ein Fehler, die Menschen in den Altenheimen und Krankenhäusern einzuschließen. In den letzten Jahren sind viele alte oder kranke Menschen alleine, ohne Beistand ihrer Angehörigen, gestorben, was irreversible Schäden verursacht hat. Es sind weitere Fehler gemacht worden, die ich hier nicht alle aufzählen will.

Die vielen nicht evidenzbasierten Maßnahmen und Einschränkungen haben die Gesellschaft scharf auseinander dividiert. Deshalb sollte für die Wiederherstellung des „Wir-Gefühls“, das insbesondere in Köln hochgehalten wird, eine aufrichtige Aufarbeitung stattfinden. Eine parlamentarische Aufarbeitung wird von einigen prominenten Politikern und Politikerinnen, wie Wolfgang Kubicki oder Sahra Wagenknecht, gefordert. Viel wichtiger als parlamentarische bzw. juristische Aufarbeitung ist allerdings die gesellschaftliche Aufarbeitung in allen alltäglichen Bereichen wie Vereinen, Betrieben, Medien usw. Ansonsten sehe ich die Gefahr, dass in der nächsten Krise der erforderliche Zusammenhalt nicht mehr gewährleistet sein wird. 

Auszug aus der Rede im  Kölner Integrationsrat

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren!

… 

Es ist ein schwieriges Thema, das die Gemüter erhitzt. Vor ca. einem Jahr habe ich hier beantragt, dass der Integrationsrat gegen die vom 1.FC Köln eingeführte 2G-Regel protestiert. Der Antrag wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, da man wahrscheinlich davon ausging, dass diese Regelung geeignet und unverzichtbar war. Heute wissen wir aber alle, dass ein positiver Effekt der 2G-/3G-Regeln auf das Infektionsgeschehen nicht nachgewiesen werden konnte. Jeder kann sich trotz Impfung anstecken und auch andere anstecken. Aus wissenschaftlicher Sicht war es unnötig, die Bürger vom Sozialleben auszuschließen. Bis heute haben diese Regeln einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben. 

Es ist jetzt nicht mehr wichtig, wer diese Maßnahmen damals mitgetragen hat oder nicht. Wir brauchen einen Begegnungsort und die Bereitschaft, mit offenem Visier die vergangene Zeit aufzuarbeiten, die Fehler einzugestehen und die Gesellschaft zu versöhnen. Oder wollen wir weiter schweigen und die Spaltung hinnehmen?

Gerade wir als Integrationsrat sind fähig, diesen Prozess in Gang zu setzen und das friedliche Miteinander zu fördern. Mit diesem Appell zeigt der Integrationsrat, dass er nicht nur für die Belange der Menschen mit internationaler Familiengeschichte arbeitet, sondern auch gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernimmt. 

Deshalb ist Ihre Zustimmung heute sehr wichtig. Je schneller die Wunden heilen, desto kleiner werden die Narben sein.

Der Integrationsrat hat den Antrag auf Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen abgelehnt, mit nur meiner Stimme dafür und sieben Enthaltungen. 

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Ein Kommentar

  1. 1bis19 könnte doch eine solche Kommunikationsplattform einrichten…

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