Die Saat des Friedens

ein Brief an die Menschheit von Christian Moser

Lesedauer 10 Minuten
Audio des Artikels (deutsch)
1bis19-Die Saat des Friedens
Das Gestade der Vergessenheit (1889) – von Eugen Felix Prosper Bracht

In welchen Zeiten leben wir! Daheim wird die Spaltung immer größer, um uns herum wird gemordet, gebombt und wieder gemordet. Es wird immer schlimmer, statt besser. Es ist zum Verzweifeln!

Und doch ist all dies nicht neu. Es gab gerade in der deutschen Geschichte nur wenige Generationen, die Frieden erlebten. Welchen Blutzoll haben wir und wie oft bezahlen müssen! Und doch wächst immer eine neue Generation heran. Wir können uns darüber freuen, dass aus der Asche neues Leben wächst, aber mit jeder neuen Generation verblasst wieder die Erinnerung an das Grauen, das über uns kommt, wenn die Zeit wieder reif zu sein scheint.

Unsere Politiker sind sehr darum bemüht, wie sie sagen, Hass und Hetze zu bekämpfen. Es gibt viel Hass und sehr viel Hetze. Es gibt sie auf allen Seiten der quer durch das Land gehenden Fronten, die sich allerdings in der letzten Zeit immer mehr zu einer Front verdichten. Unsere Regierung weiß, wo sie steht und bekämpft Hass und Hetze nur auf einer Seite. Ihr spricht sie mehr oder weniger unverhohlen das Recht zum Leben ab.

Nach außen bläst sie zum Kampf gegen Russland und wirft sich in dem Krieg um die Ukraine bedenkenlos auf eine Seite. Nun ist in Israel die Hölle losgebrochen und wiederum wird zum Kampf geblasen, wiederum die Welt in Gut und Böse eingeteilt.

Die Bilder, die uns von beiden Kriegen erreichen, sind fürchterlich. Kein Mensch, der ein Herz hat, kann sie ertragen. Das ist der gelebte Hass, das ist die Frucht der Hetze. Wie immer sind es vor allem die Zivilisten, die Frauen und Kinder, selbst alte Menschen, die den Blutzoll zu entrichten haben, die die Opferlämmer sind auf dem Altar der Rache.

Doch wer rächt sich und wofür? Die Frage ist schwer zu beantworten, da fällt es leichter, auf den roten Knopf zu drücken, die Würfel fallen zu lassen, mag Gott doch entscheiden, der eine Gott oder der andere. “Israel soll vernichtet werden!”, hört man aus Teheran und aus einigen arabischen Ländern. “Wir haben die Regeln des Krieges geändert und unsere Reaktion wird so stark sein, dass man sich noch in den nächsten 50 Jahren daran erinnern wird!”, hören wir aus Israel.

Ja, alle Seiten erinnern sich, alle Seiten tragen den Schmerz und das Leid aus Jahrzehnten in ihren Herzen, sie ertragen den Schmerz aber nicht mehr und schlagen um sich.

Was hilft es den Palästinensern, Frauen und Kinder zu töten? Was hilft es, ihnen die Köpfe abzuschlagen? Was bringt dasselbe umgekehrt den Israelis? Ein abgeschlagener Kopf bringt die bösen Gedanken nicht aus der Welt und ein Stich ins Herz nicht all den Hass. Beide leben in Millionen Köpfen und Herzen weiter und werden auf die anderen zurückschlagen und umgekehrt. Da muss man schon das ganze andere Volk vernichten. Wollen das die Palästinenser? Ist es das, was Israel will? Wird Israel in Zukunft friedlicher leben, wenn nun täglich tausend Häuser mit ihren Bewohnern zerbersten?

Sie sagen, sie zerstören die Wohnhäuser der Anführer. Die wollen sie also kennen, aber den Angriff haben sie nicht vorhergesehen? Es sind die einfachen Menschen, die keine der bösen Entscheidungen getroffen haben, die nun mit ihren Kindern unter dem Schutt verbluten. Glaubt die israelische Führung wirklich, dass das den Frieden bringt? Glauben die westlichen Länder dies? Bringt es den Frieden, den anderen, seien es die Palästinenser, seien ist die Israelis, in den Staub zu schießen? Entsteht daraus gegenseitige Achtung oder neuer Haß?

So wie die Dinge stehen und so wie sich beide Seiten verhalten, werden weder Israelis noch Palästinenser jemals in Frieden leben. Es wird nur eine ewige Abfolge sein von Leid und Tod. Es wird kein glückliches, friedliches Leben sein, das beide führen können, wenn alle Herzen so verhärtet sind.

Ja, es ist einfacher, den roten Knopf zu drücken und die Gewehre durchzuladen, einfacher, als sich ein Herz zu fassen, sich trotz und doch wegen aller Bitterkeit mit dem verhassten Feind an den Tisch zu setzen und einmal zu sagen: “Es ist genug! Es tut mir leid! Du hast mir schweres Leid angetan, ich bin so voller Groll gegen Dich, aber es tut mir leid, dass wir beide in diesem Strudel der Gewalt gefangen sind! Ich will das nicht mehr! Ich will nicht, dass meine Kinder sterben und ich bin es müde, Deine Kinder zu töten, denn ihre Geister suchen mich heim. Ich weiß, dass auch ich, dass wir Dir schlimme Dinge antaten. Ich will es Dir hier sagen und wenn es uns gelingt, dass wir beide uns gegenseitig zuhören, es aushalten, dass wir alle gleichermaßen voll Schmerzen sind, wenn wir aber entdecken, dass wir im Schmerzen gleich, dass wir Menschen sind, die leben wollen, die glücklich sein wollen, dann erkennen wir, dass dies nur möglich ist, wenn wir das Fürchterliche, das uns alle in seinen Klauen hält, gemeinsam betrauern. Wir haben dann vielleicht noch nicht unsere Lebensansprüche gelöst, aber erst dann werden wir sie lösen können.”

So weit ist die Menschheit aber wohl noch nicht. Vorerst werden also in der Welt die Waffen sprechen, werden so viele Menschen, die von einem guten Leben träumen, morgen nicht mehr sein, werden Mütter und Väter um ihre Kinder weinen und sie selbst dem Tod ins Auge sehen, werden so viele geschundene Seelen den anderen das Glück nicht gönnen.

Vorerst werden wir auf unseren Straßen in Kundgebungen und Gegenkundgebungen uns Beschimpfungen entgegenschreien, werden Attentate auf Politiker verübt, wird auch hierzulande die Saat gesät, die die Menschheit nicht zur Ruhe kommen lässt.

Es ist leicht, von hier aus den anderen Völkern zu sagen, was richtiger für sie wäre. Sie müssen es selbst für sich entdecken. Aber wir sind für unser Land verantwortlich, wir müssen im Inneren mit gutem Beispiel vorangehen und hier bei uns im anderen den Menschen sehen. Nur unser gutes Beispiel wird zeigen können, ob Friede unter den Menschen möglich ist.

Ich sage es hier frei heraus: Als ungeimpfter Regierungskritiker bin ich beschimpft worden, belauscht worden, ausgegrenzt worden, man hat mir und meinen Mitstreitern das Leben so schwer gemacht, dass ich wie viele Sorge hatte um mein Kind und darüber nachdenken musste, ob ich in Deutschland weiter leben kann. Diese Anfeindung hat viele Gesichter und doch wenige Namen. Als Deutscher trage ich wie so viele den Schmerz ungerechter Frieden, Aushungerungen, Vertreibungen, Bombenterror und unehrenhafter Unfreiheit im Herzen. Das ist meine und unsere Geschichte. Wohin damit?

Die Dinge liegen hinter uns und dort sollen sie bleiben! Wir müssen die Wunden heilen, damit die Vergangenheit nicht immer wieder zu unserer Zukunft wird. All die anderen, die mir und uns dies antaten, die haben ihre eigene Geschichte zu erzählen, ihr eigenes Leid, sie sind dazu getrieben und veranlasst worden durch das, was sie erlebten. Egal, was wir darüber denken, es ist ihre Geschichte, wie unsere die unsere ist und doch ist all dies unsere gemeinsame Geschichte. Nur wenn wir einmal nicht nur über eine Seite, sondern über alle Seiten und mit allen Seiten sprechen, dann kann der Fluch der bösen Taten in die Hölle entschwinden, aus der er kam. Dann sind wir alle unser Bündel los und frei.

Erst wenn wir im eigenen Lande Frieden schaffen konnten, kann dies Beispiel sein für andere. Dann brauchen wir sie nicht erst überzeugen, sie werden sich an uns ein Beispiel nehmen können, so wie wir uns ein Beispiel an Mahatma Gandhi nahmen.

Und all Ihr vergrämten Herzen, seid gewiss: Das Leid Eurer Liebsten, das Ihr nicht loslassen mögt, das wird dann nicht umsonst gewesen sein! Im Frieden, im Frieden der Freiheit aller, werden auch die, die heute Eure Feinde sind, sich in Liebe an Eure Liebsten erinnern! Und was hätten Eure ermordeten Liebsten lieber gewollt? Noch mehr Blut oder eine Welt des Friedens und der glücklichen Kinder?


Originalversion (englisch):

Audio file English

The seeds of peace

A letter to humanity

What times do we live in! At home the division is becoming greater and greater, all around us there is murder, bombing and murder again. Things are getting worse instead of better. It is to despair!

And yet none of this is new. There were only a few generations in German history that experienced peace. What toll we hade to pay and how often! And yet a new generation is always growing up. We can rejoice that new life is growing from the ashes, but with each new generation the memory of the horror that will come upon us when the time seems ripe again fades.

Our politicians are trying very hard, as they say, to combat hatred and incitement. There is a lot of hatred and a lot of incitement. They exist on all sides of the fronts that run across the country, but recently they have increasingly been condensing into one front. Our government has its position on this and is only fighting hatred and incitement on one side. It more or less blatantly denies her the right to live.

Outwardly, it calls for a fight against Russia and unhesitatingly takes one side in the war over Ukraine. Now all hell has broken loose in Israel and once again there is a fight and the world is once again divided into good and evil.

The images that reach us from both wars are terrible. No person with a heart can bear it. This is the hatred in action, this is the fruit of the agitation. As always, it is primarily the civilians, the women and children, even old people, who have to pay the blood toll, who are the sacrificial lambs on the altar of revenge.

But who takes revenge and for what? The question is difficult to answer, so it’s easier to press the red button and let the dice fall, let God decide, one God or the other. “Israel should be destroyed!” is heard from Tehran and some Arab countries. “We have changed the rules of war and our response will be so strong that it will be remembered for the next 50 years!” we hear from Israel.

Yes, all sides remember, all sides carry the pain and suffering of decades in their hearts, but they can no longer bear the pain and are lashing out.

What good does it do for Palestinians to kill women and children? What good does it do to cut off their heads? Conversely, what good does the same thing do for the Israelis? A severed head does not eliminate evil thoughts and a stab in the heart does not eliminate all hatred. Both live on in millions of minds and hearts and will affect the other and vice versa. You have to destroy all the other people. Is that what the Palestinians want? Is that what Israel wants? Will Israel live more peacefully in the future if thousands of houses and their residents are bursting every day?

They say they are destroying the leaders’ homes. So they want to know them, but didn’t foresee the attack? It is the ordinary people and their children who did not make any of the evil decisions who are now bleeding to death under the rubble. Does the Israeli leadership really believe that this will bring peace? Do Western countries believe this? Does it bring peace to shoot the others, be they the Palestinians or the Israelis, into the dust? Does this lead to mutual respect or new hatred?

As things stand and as both sides behave, neither Israelis nor Palestinians will ever live in peace. It will just be an eternal series of suffering and death. It won’t be a happy, peaceful life that either of them can lead when everyone’s hearts are so hardened.

Yes, it is easier to press the red button and load the rifles, easier than to gather the courage to sit down at the table with the hated enemy despite and yet because of all the bitterness and say once: “It is enough! I am sorry! You have caused me great suffering, I am so full of resentment towards you, but I am sorry that we are both caught in this maelstrom of violence! I don’t want this anymore! I don’t want my children to die and I’m tired of killing your children because their ghosts haunt me. I know that I did too, that we did bad things to you. I want to tell you here and if we can get both of us to listen to each other, it endure that we are all equally full of pain, but when we discover that we are the same in pain, that we are people who want to live, who want to be happy, then we realize that this is only possible if we accept the terrible, that holds us all in its claws, we must mourn together. We may not have solved our life demands yet, but only then will we be able to solve them.”

But humanity is probably not that far along yet. So for now the weapons will speak in the world, so many people who dream of a good life will no longer be there tomorrow, mothers and fathers will cry for their children and they themselves will face death, so many tortured souls will not begrudge happiness to others.

For now, we will be shouting insults at each other in rallies and counter-rallies on our streets, assassination attempts will be carried out on politicians, and the seeds will be sown in this country that will not let humanity find peace.

From here it is easy to tell other peoples what would be more right for them. They have to discover it for themselves. But we are responsible for our country, we have to set a good example internally and see others as human beings. Only our good example will be able to show whether peace among people is possible.

I’ll say it outright here: As an unvaccinated government critic, I was insulted, overheard, excluded, and life was made so difficult for me and my colleagues that, like many people, I was worried about my child and had to think about whether I can continue to live in my country. This hostility has many faces and yet few names. As a German, like so many, I carry in my heart the pain of unjust peace, starvation, expulsions, bomb terror and dishonorable bondage. This is my and our story. Where to put it?

Things are behind us and that’s where they should stay! We have to heal the wounds so that our past doesn’t become our future over and over again. All the others who did this to me and to us have their own story to tell, their own suffering, they were driven and prompted by what they experienced. No matter what we think about it, it is their story, just as ours is ours and yet all of this is our shared story. Only when we speak not just about one side, but about all sides and with all sides, can the curse of evil deeds disappear into the hell from which it came. Then we can all get rid of our bundles und be free.

Only when we have been able to create peace in our own country can this be an example for others. Then we won’t have to convince them first; they will be able to follow us as an example, just as we followed the example of Mahatma Gandhi.

And all you troubled hearts, be sure: the suffering of your loved ones, which you cannot let go of, will not have been in vain! In peace, in the peace of freedom for all, even those who are your enemies today will remember your loved ones with love! And what would your murdered loved ones have wanted better? More blood or a world of peace and happy children?

Bochum, October 9, 2023

Christian Moser

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